Stefan Lienhard ist Digital Manager an der Schulthess Klinik. Gemeinsam mit Alfred Angerer spricht er über den digitalen Reifegrad der Schweizer Spitäler und Kliniken. Grundlage dafür bietet die von Stefan Lienhardt durchgeführte Studie, welche er im Schweizer Spitalumfeld durchgeführt hat. Welche Handlungsfelder ergeben sich, wie gehen die Spitäler mit Innovationen um und welche Chancen und Risiken ergeben sich daraus?
Fragen und Antworten
Stefan Lienhard stellt sich und seine Tätigkeit als Digital Manager in der Schulthess Klinik vor. Er ist bereits seit 12 Jahren im Gesundheitswesen tätig und hat diverse Stellen und Weiterbildungen durchlaufen.
Am Ende seines Masterstudiums Digital Business erforschte er innerhalb seiner Masterthesis den digitalen Reifegrad im Schweizer-Gesundheitswesen.
In einer klassischen Schulbewertung vergibt Stefan Lienhard dem Schweizer Gesundheitswesen (= GW) hinsichtlich des Digitalisierungsgrades die Note 3,0 (von 6,0).
Stefan Lienhard untersuchte in seiner Masterthesis die folgenden 4 Fragen:
- Wie weit ist die Digitalisierung in den CH-Spitäler fortgeschritten und welche Handlungsfelder lassen sich daraus ableiten?
- Welche Relevanz hat die Digitalisierung für Kliniken und Spitäler?
- Wie ist der digitale Reifegrad der CH-Kliniken und Spitäler?
- Was sind mögliche Hemmfaktoren, mit denen die Spitäler konfrontiert werden?
Die Zielgruppe des Forschungsvorhabens war das mittlere- und Spitzenmanagement. Befragt wurden 220 Spitäler mittels Fragebogen. Darüber hinaus wurden 4 Experteninterviews durchgeführt.
Die Dimensionen der Befragung wurden anhand eines HSG Modells (Lehrstuhl Frau Back) untersucht. Alle 2 Jahre wird von der HSG ein digital Transformation Report, mit 6 - 10 Fragen zum Reifegrad und 9 Handlungs- und Themenfeldern, veröffentlicht. Diese Fragen wurden durch Stefan Lienhard auf das GW angepasst.
Einige Beispiele für Handlungs- und Themenfelder sind das Patientenerlebnis, Produktinnovation, Organisation des Spitals, digital Leadership
Die Dimension IT hat grundlegend am besten abgeschlossen. Vermutlich investieren Spitäler viel in Datenschutz und Sicherheit. Auch die Infrastruktur im Spital besitzt einen guten Reifegrad.
Vier Dimensionen sind der Untersuchung nach als ungenügend zu betrachten.
- Organisation des Spitals
- Prozessoptimierung
- interne Zusammenarbeit
- Produktinnovation
Produktinnovation muss bewusst vorangetrieben werden und auf Ebene der Mitarbeitenden angegangen werden, um diese abzuholen und einzubinden. Eine zentrale Stelle in einem Unternehmen ist als nötige organisationale Struktureinheit anzusehen.
Interne und externe Kommunikation sind wichtige Meilensteine bei der Sammlung von neuen Anregungen und Ideen und relevant für die Weiterentwicklung.
Die Faxkultur im Schweizer GW ist noch sehr ausgeprägt.
Tendenzen zur Besserung lassen sich jedoch erkennen. Das EPD kann einen grossen Beitrag zur Digitalisierung des GWs beitragen und besitzt viel Potential.
New Work ist ein Begriff der in den letzten Jahren v.a. durch die Startup Kultur entstanden ist. Charakteristisch sind flache Hierarchien, mobiles Arbeiten, Coworking und teamübergreifende Kommunikation als Entwicklungspotential.
Messenger Dienste können besonders für teamübergreifende Kommunikation genutzt werden. Rechtskonforme Apps und Lösungen sind für das Gesundheitswesen extrem relevant und sollten weiterentwickelt werden. Der Messengerdienst WhatsApp wird häufig genutzt, ist aus Sicht des Datenschutzes jedoch eher kritisch anzusehen. Im GW gibt es eine grosse Landschaft an Startups, welche interne Kommunikationstools entwickeln wollen. Hier besteht viel Potential.
Überraschender Fakt: Die grossen Spitäler sind den kleinen Spitälern gegenüber nicht im Vorteil und auch nicht weiter vorangeschritten. Es existieren keine markanten Unterschiede zwischen Spitälern, die bspw. kantonal, regional, privat oder öffentlich organisiert sind.
Es wurden insgesamt sieben Hypothesen aufgestellt und untersucht.
- Hypothese: Die Digitalisierung wird im Spital als eher wichtig eingeschätzt. Die Hypothese wurde bestätigt. 88% der Befragten haben dies bestätigt. Die tatsächliche Umsetzung weist jedoch einen anderen Reifegrad auf. Viele Spitäler schauen erst auf den Fortschritt von anderen Spitälern.
- Hypothese: Die Digitalisierung ist mehrheitlich Bottom-Up bei der IT und nicht Top-down bei der Geschäftsleitung/dem Management angesiedelt. Diese Hypothese wurde bestätigt. Hinter dem Bottom-Up Prinzip steckt nicht der optimale Ansatz. Das Management sollte als positives Beispiel vorangehen und die digitale Transformation aktiv mitgestalten und die Relevanz herausstellen.
Hypothese: Die Dimension Patientenerlebnis weist den höchsten Reifegrad auf und die Unternehmenskultur den geringsten Reifegrad. Diese Hypothese hat sich nicht bestätigt. Der höchste digitale Reifegrad liegt im IT-Bereich. Der niedrigste Reifegrad liegt in den 4 Dimensionen: Organisation des Spitals, Prozessoptimierung, interne Zusammenarbeit, Produktinnovation.
Rund 25% der Befragten Personen aus dem mittleren- und Spitzenmanagement sind unsicher, ob überhaupt eine Spitalstrategie zur Digitalisierung vorliegt.
Branchenfremde Firmen machen sich auch bereit Einzug in das Gesundheitswesen zu halten. Die besten Beispiele sind Google, Apple und andere Gigakonzerne, die digitale Gesundheitslösungen anbieten, welche mittlerweile auf dem Smartphone und somit jederzeit verfügbar sind. Es bleibt spannend, ob branchenfremde Anbieter ggf. sogar schneller in der Digitalisierung und im Gesundheitswesen unterwegs sein werden als die Spitäler selber. Auch die weitere Entwicklung hinsichtlich der Tätigkeiten dieser Konzerne bleibt fragwürdig.
Um zu digitalisieren muss Geld in die Hand genommen werden. Digitalisierung ist ein langfristiges Projekt. Es muss analysiert werden, wo Potential besteht und nur nötige Prozesse sollten optimiert werden. Das Augenmerk sollte v.a. auf Prozessen liegen, die der täglichen Arbeit dienlich sind.
Die Digitalisierung ist kein Trend.
Wenn ein Spital jetzt keinen Anteil nimmt, verliert es den Anschluss und wird in ein paar Jahren nicht mehr existieren.
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