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Marion Wolff – New Work: Werte, Führung und Zusammenarbeit neu gedacht

77 Steuern Kommunikation Kultur Führung Management im Gesundheitswesen Organisationsentwicklung und die Rolle von Holokratie

In der heutigen Arbeitswelt wird viel in den Hochglanzbegriff “New Work” hinein projiziert, was den eigentlichen Kerngedanken hinter dem Konzept jedoch oft verfehlt. Mit dem Ziel, sich als attraktiver Arbeitgeber im Wettbewerb um die knappen Personalressourcen zu positionieren, verwenden Unternehmen “New Work” häufig als ein oberflächliches Synonym für jegliche Form von Veränderung in der Arbeitswelt, sei es Home-Office, höhenverstellbare Schreibtische oder flache Hierarchien. Rein rational scheinen Unternehmen demnach verstanden zu haben, dass ein Wandel notwendig ist, um den Anforderungen der jetzigen und nachkommenden Generation an Arbeitskräften gerecht zu werden und diese langfristig an sich zu binden. Damit New Work, in seiner Ausprägung im Gesundheitswesen auch New Healthcare Management genannt,  jedoch als Differenzierungs- und Erfolgsstrategie Früchte tragen kann, muss von Grund auf neu gedacht werden, wie wir in modernen Gesundheitsorganisationen zukünftig führen und geführt werden wollen. Als Expertin zu diesem viel diskutierten Thema, ist Marion Wolff zu Gast in der aktuellen Folge von Marktplatz Gesundheitswesen. Als selbstständige Beraterin für Human Resources und Führung unterstützt sie Unternehmen verschiedener Branchen dabei, Transformationsprozesse im Sinne der modernen Arbeitswelt erfolgreich umzusetzen. Sie ist überzeugt davon, dass vor allem auf der Führungsebene die ernsthafte Bereitschaft bestehen muss, die grundlegende Haltung sowie den Wertekompass zu überdenken. Hören Sie in diese Folge und erfahren Sie, was sich wirklich hinter dem zukunftsträchtigen Konzept von “New Work” verbirgt und warum es nicht immer zielführend ist, in Kategorien wie Effektivität und Effizienz zu denken.

Fragen und Antworten

Fakt Nummer 1: Marion Wolff kommt aus dem Ruhrgebiet und wurde so sozialisiert, dass Dinge lauft auf den Tisch gelegt, diskutiert werden und das weder Unsicherheit noch irritieren sollte.

Fakt Nummer 2: Marion Wolff ist wegen der Liebe in die Schweiz gezogen, ist aber mit einem Engländer verheiratet. Es prallen verschiedene Kulturen aufeinander, was sie prägt.

Fakt Nummer 3: der Name ihrer Firma HR Consulting stimmt mittlerweile gar nicht mehr, den möchte Maren Wolff schon lange ändern, denn sie macht Managementberatung und Begleitung von Veränderungsprozessen.

Ja das hatte und hat Maren Wolff noch. Sie arbeitet unter anderem für Krankenkassen, Spitäler und ganz neu jetzt in Deutschland auch für einen Zeitarbeitsanbieter im Gesundheitswesen.

Ja und Nein meint Maren Wolff. Ja im Sinne von, es gibt neue Arbeitsmodelle, mehr Flexibilität und eher kurzzyklische Modelle. Die erstaunlich gerne und viel von Ärzten und Pflegenden in Anspruch genommen werden.  

Das kann Maren Wolff nicht klar beantworten. Das gesamte Bild aber zur nachwachsenden Generation unterscheidet sich deutlich von den älteren Generationen. Sie stellen klare Anforderungen an den Arbeitgeber, wie beispielsweise Homeoffice, Haustiere im Büro oder wie Nachhaltigkeit gelebt werden sollte.

Besonders findet Maren Wolff, dass sie sehr viel engagierte Menschen sieht, die auch in positiver Absicht arbeiten. Sie möchten was Gesellschaftliches tun, fühlen sich aber gleichzeitig nicht gehört. Die Strukturen und Systeme sind nicht bereit damit umzugehen, sie sind rigide und starr. Auch in den politischen Kontexten müsste mitgedacht werden, sie haben es aber noch nicht erkannt, dass es notwendig ist agiler zu werden. 

Ein Wurzelteil des Problems ist, wie wir die Menschen in einem System anschauen und wertschätzen. Wenn wir das nicht gezielt tun, dann werden sich die Menschen wehren und gehen.
Im Spitalwesen sind die Systeme starrer im Vergleich zu anderen. Maren Wolff erzählt ein Beispiel aus ihrer Praxis aus einem Spital. Sie wollte mit einer Bereichsleitung selbstorganisierte Prozesse implementieren und ein Teil davon war der Zielsetzungsprozess und das kurzzyklische Denken. Sie haben ein Modell implementiert und mit dem Team trainiert, wobei sie selbst Ziele aus ihrer Perspektive entwickeln konnten. Dann hat sich das HR eingeschaltet und gesagt, sie können das so nicht machen, das stehe im Personalgesetz des Kantons, was aber so nicht stimmte. Der Gesetzestext hat etwas Freiraum zum Interpretieren. Dieses Beispiel hat aber gezeigt, wie Systeme und Strukturdenken vom HR oder auch anderen Bereichen in einem Unternehmen die Mitarbeitenden zurückhalten kann.  

Es handelt sich dabei meistens um Führungskräfte, die bemerken, dass sie nicht mehr gut funktionieren, so wie sie heute arbeiten. Die Kultur der Zusammenarbeit funktioniert nicht mehr und das Arbeitssetting entspricht nicht mehr den Anforderungen der Mitarbeitenden. Es werden Leute benötigt, die selbstverantwortlich ihren Bereich ausfüllen und leiten, kritisch in den Diskurs gehen und Hierarchie nicht mehr so einfach akzeptieren. Vielfach stellt sich dann auch die Frage: was rechtfertigt Hierarchie überhaupt?

Auf der kognitiven, rationalen Ebene haben alle verstanden, dass sich die traditionelle Arbeitsweise ändern muss. Der Unterschied besteht aber darin, ob der Mensch bereit ist seine Haltung zu ändern von „der Mensch ist primär eine Ressource und muss sich der Hierarchie beugen“ zu „meine Angestellten und ich sind eine Partnerschaft und haben gemeinsame Vereinbarungen“. Dieser Wechsel findet nicht nur im Hirn statt, sondern auf einer ganz anderen Werte- und Verbindungsebene. Denn jeder Mensch, den ich als Mitarbeitenden rekrutieren darf und kann, hat auch berechtigte Bedürfnisse, die eine Rolle spielen.

Marion Wolff äussert, dass es hierbei wichtig ist, zuerst die tiefen Glaubenssätze zum Thema Wachstum zu betrachten. Denn in unserer Gesellschaft ist die Meinung „es muss immer mehr werden“ tief verankert. So kann man nicht den einzelnen verurteilen, der mit so einer Einstellung Marion Wolff um Hilfe bittet. Diese Haltung ist in unserer Natur aber nicht anzutreffen und sie ist viel resilienter. Würde also Marion Wolff eine solche Anfrage erhalten, so würde sie mit ihm besprechen, was ihm wichtig ist. Was er braucht, um sagen zu können, dass seine Praxis gut läuft und er zufrieden ist. So würden sie in einen ganz anderen Dialog kommen.

Hier spielt das Thema Purpose eine grosse Rolle. Welchen Beitrag, welchen Zweck hat der Arzt die Ärztin in dem grossen Ganzen. Sie haben einen relevanten Einfluss auf die Region und die Menschen, die dort leben. Es gibt ganz grosse Unterschiede bezüglich der gesellschaftlichen Aufgabe des Einzelnen. Ist der Arzt ein Prozessoptimierer und beschäftigt sich hauptsächlich mit den Zahlen, oder will er den Patienten auch das Erleben in der Praxis und im gemeinsamen Umgang optimal gestalten.

Es gibt grosse Modelle wie Soziokratie oder Holokratie, die grundsätzlich in Frage stellen, wie Organisationen geführt werden. Das sind eher radikale Ansätze. Marion Wolff analysiert eher welche Praktiken, Rituale oder Methoden eine Organisation nutzt, um zu führen.

Fragen wie: „Wie tauschen wir uns aktuell aus? Wie wollen wir uns austauschen? Wie machen wir Meetings? Wie treffen wir Entscheidungen? Wollen wir uns Raum nehmen, um jeden einzelnen in seiner Ganzheit wahrzunehmen oder möchten wir nur unser professionelles Gesicht zeigen?“ werden dann bearbeitet.

Es gibt ein kleines Tool, das heisst „check in – check out“ und wird bei Meetings gerne am Anfang angewandt. Jeder sagt kurz oder auch ausführlich, wie er gerade im Raum sitzt. Hier kann erzählt werden, wie man in den Tag gestartet ist, was so alles im Praxisalltag heute passiert ist oder wie es einem geht. Es gibt dabei zwei Vorteile, die Anwesenden wissen wie die Verfassung von jedem ist und jeder kann erst einmal ankommen im Meeting. Das führt zu einem qualitativ hochwertigeren Meeting, als wenn das einfach so schnell wie möglich durchgeführt wird.  

Wir sind alles Menschen mit viel mehr Anteilen als nur Effizienz und Effektivität. Wenn wir zu stark getrieben sind von diesen zwei, dann riskieren wir enorm viel zu verlieren, weil wir anderen Anteilen keinen Raum geben. In der Ökologie der Kommunikation spricht man von einem guten Sensorium, das jeder Mensch hat. Jeder nimmt sehr viel wahr und kann genau einschätzen, was in diesem Kontext erlaubt ist zu sagen und was nicht. Wenn wir den Menschen, deren Gedanken und Expertise keinen Raum geben, sich einzubringen, so geht viel Potenzial verloren.

In der Holokratie gibt es ganz enge Regeln und eine Moderation, die darauf achtet, dass diese eingehalten werden. Es gibt Leitlinien wie Themen angesprochen und behandelt werden.

In der Soziokratie gibt es eine Regel, wie man ein Thema abschliesst. Man sitzt im Kreis und hält immer dieselbe Reihenfolge ein. Zuerst werden Verständnisfragen der Runde nach beantwortet, dann gibt es eine Resonanzrunde, wo Meinungen geäussert werden können. Die Sprechzeit dafür kann man auch begrenzen, damit es auf den Punkt gebracht wird. So werden Wiederholungen verhindert und jeder weiss, dass er ein Raum hat sich zu äussern, jeder wird gefragt.

Ein wichtiger Punkt ist auch die Entscheidungsfindung. Es wird nicht gefragt, ob alle einverstanden sind. Sondern es werden konsente Entscheidungen angestrebt. Es wird gefragt, ob es schwerwiegende Gründe gibt, wieso diese Entscheidung nicht getroffen werden sollte.

Zusammenfassend sind diese Methoden sehr diszipliniert, schneller als man denkt, jeder fühlt sich gehört und Entscheidungen werden eher getroffen.

Entscheidend ist die Haltung, es gibt keine finale Antwort. Die Haltung, dass Menschen primär positiv etwas beitragen möchten. Wo so eine Haltung existiert, funktioniert es gut. Es gibt aber noch nicht viele Untersuchungen dazu, keine Empirie. Gewisse Bereiche gibt es durchaus, wo es nicht existiert, oder wo sie es probiert haben aber es nicht funktioniert hat. Auf oberster Führungsebene sollte die Haltung angestrebt und beibehalten werden. Jeder im Unternehmen ist relevant und jeder möchte sich positiv im Unternehmen einbringen.

Ein ganz wichtiger Unterschied muss man hier erwähnen. Wenn ein Unternehmen diese Haltung annimmt, nur um Mitarbeitende anzuwerben, so haben sie das ganze missverstanden und es wird nicht funktionieren, weil sie die falsche Einladung aussprechen. Aber wenn ich als Unternehmen sage, dass ich diese Haltung richtig finde und sie deshalb annehme, so ergibt sich eine aufrichtigere Einladung und es könnte daraus ein Vorteil entstehen.

Das ist laut Marion Wolff durchaus möglich, sich gut zu vermarkten, wenn ein Unternehmen sichtbar ist. Es muss auf diversen Plattformen präsent sein, auch auf Arbeitgeberbewertungsplattformen. Es muss daraus herauszulesen sein, dass das Unternehmen einen Unterschied für die Menschen und nicht nur für die Profession machen möchte. Idealerweise sollten auch die Angestellten zufrieden sein und dementsprechend das Unternehmen bewerten. Solange nicht alle Unternehmen dieselbe Einstellung haben, ist das richtig vermarkten möglich, so ist es mehr als nur ein temporärer Vorteil.

“I am my context”. Was sagt das aus? Es muss jedem klar sein, dass das, was er oder sie in ihrem Alltag zeigt, was er oder sie im Job umsetzt, wie er oder sie das Potenzial entfaltet oder die Energie freisetzt - alles davon abhängig ist, welchen Kontext die Organisation für die Angestellten schafft.

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