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Sina Berger – Internet of Things im Gesundheitswesen: leeres Buzzword oder the Next Big Thing?

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Bereits heute ist das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) aus vielen Bereichen der Industrie nicht mehr wegzudenken, doch hat es auch das Potenzial die Gesundheitsbranche zu revolutionieren? Um der Antwort auf diese Frage etwas näher zu kommen, ist Sina Berger zu Gast in der aktuellen Ausgabe von „Marktplatz Gesundheitswesen“. Sina ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie im Team Management im Gesundheitswesen und beschäftigt sich u.a. mit Themen wie Digital Health, Prozessoptimierung und Patientenzufriedenheit. Im Rahmen ihrer Masterarbeit ist sie der Frage nachgegangen, inwieweit der Behandlungspfad der PatientInnen durch den gezielten Einsatz von IoT optimiert werden kann. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter dem vielbesagten „Buzzword“ und wie stark wird IoT bereits heute im Gesundheitswesen eingesetzt? So viel sei schon jetzt verraten: Nur weil ein Gerät über einen Sensor verfügt, handelt es sich noch lange nicht um IoT. Hören Sie in die diese Podcast-Episode, um mehr darüber zu erfahren, welche IoT-Anwendungen zukünftig eingesetzt werden sollten, um den Patientenpfad zu optimieren und einen Mehrwert für PatientIn und Mitarbeitenden zu schaffen. 

Fragen und Antworten

Sina Berger arbeitet seit vier Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wirtschaftsinstitut für Gesundheitsökonomie (WIG). Sie hat in Wolfsburg BWL studiert und anschliessend ihren Master in Gesundheitsökonomie an der ZHAW absolviert. 

Sina Berger's Herz schlägt im Gesundheitswesen und sie sieht sich auch in Zukunft nicht in einer anderen Branche. Sie ist noch jung und arbeitet seit 4 Jahren am WIG im Team Management im Gesundheitswesen. Als Studentin hat sie ein Auslandsemester in Finnland absolviert und ein halbes Jahr dort Nursing studiert. Dort hat sie die Praxisseite und das Arbeiten am Patienten/ an der Patientin kennengelernt. Zudem hat Sina Berger bereits viel von der Welt gesehen, sie liebt das Reisen und Kennenlernen von anderen Kulturen.  

Im Alter von 6 Jahren hat für sie ein Ärzte- und Spitalmarathon begonnen. Bis die Diagnose gestellt wurde, musste sie über die Jahre ihre Geschichte steht's von neuem erzählen, weil die Fachpersonen sich nicht untereinander ausgetauscht haben. Auch die ständig langen Wartezeiten waren für sie eine Herausforderung. Da es noch keine digitalen Dokumente gab, musste ihre Mutter die Dokumente in Ordnern mitschleppen. Diese Vorgeschichte hat sie dazu bewegt, Menschen helfen zu wollen und einen Beruf im Gesundheitswesen zu tätigen. Zunächst zog sie Ergotherapie/Physiotherapie in Betracht, dort ist es aber schwer aufgenommen zu werden. Deshalb kam das Management im Gesundheitswesen in den Fokus von Sina Berger, wo sie aus einer anderen Perspektive Menschen helfen kann.

Eigentliche hatte Sina Berger bis 2016 keinen Bezug zur Schweiz und ihr war auch nicht bewusst, dass sie zu Beginn kein Wort Schweizerdeutsch verstehen würde. Im Auslandssemester in Finnland hat sie viele Schweizerinnen und Schweizer kennengelernt und sich mit ihnen angefreundet. Jemand aus dieser Gruppe hat ihr im Jahr 2018 die Stelle am WIG geschickt und sie hat sich dort beworben. In diesen vier Jahren hat sie sich ein wunderbares privates wie auch berufliches Umfeld aufgebaut und hat schweizerische Freundlichkeit, die Berge und das Fondue sehr zu schätzen gelernt.

Die meisten Projekte bezogen sich auf die Prozessoptimierung, Zufriedenheit von Patientinnen und Patienten und die Digitalisierung, was topaktuelle Themen im Gesundheitswesen sind. Sie erinnert sich, dass sie ein paar Wochen vor der Eröffnung der Corona Impfzentren diese inspiziert hat. Als der Betrieb startete, hat sie dort mit Studierenden die Prozesszeiten aufgenommen haben, um den Impfprozess zu optimieren und mehr Effizienz hineinzubringen. Mit einem weiteren Team führten sie eine Simulation durch, um herauszufinden, wie der Prozess verbessert werden kann.  

Sina Berger's Taktik ist es die Wörter auseinander zu nehmen und einzeln zu erklären. IoT steht für Internet of Things: Internet als Netzwerktechnologie und Things für Dinge/Gegenstände, die durch das Netzwerk miteinander verbunden sind. Das bedeutet, dass man in Gebäuden sämtliche Geräte oder Material mit Etiketten oder Sensoren ausstatten kann und diese dann Daten sammeln. Damit sind diese Geräte intelligent. Beispielsweise können Spitalbetten mit Sensoren ausgestattet werden. Diese kommunizieren über das Internet und tauschen Daten aus. Somit sieht man, wo freie Betten im Spital zur Verfügung stehen. Bei IoT's geht es also nicht primär um die Sensoren, sondern um das gesamte Ökosystem, das mit Datensammlung und dem Zusammenspiel der Geräte entsteht.

Nun nimmt man noch den Patient Journey hinzu – was für den Patientenpfad steht: Damit ist die Gesamtheit aller Kontaktpunkte, die eine Patientin oder ein Patient vor, während und nach dem Spitalaufenthalt hat. Beispielsweise die Anmeldung an der Rezeption oder Warten im Wartebereich. In Sina Berger's Masterarbeit ging es um Prozessoptimierung dieses Patient Journey mittels IoT. Ziel war der Gewinn neuer Erkenntnisse im IoT Bereich des Gesundheitswesens auf Prozessebene.

Sina Berger hat sich vor der Masterarbeit noch nicht mit IoT auseinandergesetzt. Ein Unternehmen in Winterthur hat einen Aufruf für eine Masterarbeit zu IoT im Studiengang gestartet. Sina Berger fand dieses Thema sehr passend zu ihrem Berufsalltag, welcher sich um Digital Health und Prozessoptimierung dreht. Sie ist überzeugt, dass digitale Lösungen im Gesundheitswesen eine grosse Hilfe sein können.

Sina Berger hatte mehrere Forschungsfragen:

 

Welche IoT Typen existieren?

IoT wurde bereits in anderen Branchen erfolgreich eingesetzt, im Gesundheitswesen jedoch erst punktuell. Die Transformation zu einem smarten Gesundheitswesen steht noch am Anfang. Deshalb ging Sina Berger der Frage nach, welche IoT bereits im Gesundheitswesen eingesetzt werden und wo es Potential für weitere gibt.

 

Welche Merkmale eines optimalen Patientenpfades gibt es?

Zu verstehen, wie dieser Pfad abläuft ist essenziell zur Optimierung eines Patientenprozesses, mit allem was gut und was schlecht läuft. Das ist der Ist Zustand

 

Welche IoT Anwendungen können zur Optimierung des Patientenpfades eingesetzt werden?
Da stellt sich die Frage, an welchen Stellen IoT Anwendungen eingesetzt werden können, um den Pfad zu optimieren. Das ist der Soll Prozess.

 

Welche IoT Bereiche entsprechen den Patientenanforderungen?

Hier lag der Fokus auf der Patientin oder dem Patienten, weil sie die Technik akzeptieren und mitmachen müssen, damit in der Praxis IoT's auch umgesetzt werden können.  

Die anhand einer Literaturrecherche identifizierten IoT Anwendungen, die bereits im Gesundheitswesen eingesetzt werden, wurden von Sina Berger anhand eines Einordnungsmodelles in vier Dimensionen geclustert.

Die erste Dimension beschreibt die krankheitsbasierten IoT Anwendungen, welche zur Überwachung des Gesundheitszustandes im oder ausserhalb des Spitals angewendet werden, beispielsweise smarte Armbänder mit Messsensoren für Asthmatiker. Die zweite Dimension bezieht sich auf servicebasierte IoT Anwendungen, wie IoT Buttoms mit Hilferuffunktion.

Diese beiden Dimensionen widmen sich der Patientinnen und Patienten Ebene.

Die nächsten beiden Dimensionen beziehen sich auf die Prozessebene: Das Asset Tracking, zur Lokalisierung und Verfolgung von Objekten im Spital. Damit kann Zeit im Prozess gespart werden. Die vierte Dimension bezieht sich auf umgebungsbasierte IoT Anwendungen, welche Einfluss auf Umgebungsgestaltung der Leistungserbringerin oder des Leistungserbringers haben, beispielsweise Alarmsysteme mit SMS-Nachricht von Temperaturschwankungen bei Medikamentenkühlschränken.  

Vier Methoden haben Sina Berger zum Ziel geführt:

Erstens der eintägige Besuch in der Radiologie mit Prozessbeobachtungen und Gesprächen mit Mitarbeitenden.

Input Alfred Angerer: Was sagen Patientinnen und Patienten dazu, wenn du mit Uhr und Klemmbrett hinter ihnen herläufst?

Sina Berger: Als erste Reaktion machen sie grosse Augen, nach einer Erklärung sind sie aber sehr offen und machen mit.

Als zweite Methoden wurden durch Sina Berger qualitative Interviews mit Patientinnen und Patienten, sowie Mitarbeitenden durchgeführt, um den Prozess zu verstehen. Positive, negative Aspekte und Verbesserungsmöglichkeiten wurden identifiziert. Dieser Part ist wichtig, um zu verstehen, welche IoT Anwendungen eingesetzt werden können.

Im Anschluss wurden IoT Expertinnen und Experten interviewt, damit der Soll Prozess verstanden werden kann.

Die dritte Methode bezog sich ebenfalls auf IoT Expertinnen und Experten. Mit ihnen wurde nach Lösungsmöglichkeiten gesucht und diese nach Nutzen und Aufwand in der Umsetzung bewertet.

Als vierte Methode wurde eine schriftliche Umfrage bei Patientinnen und Patienten zu IoT Anwendungen gemacht, um zu identifizieren, welche Erwartungen und Wünsche aus ihrer Sicht existieren.

Die Rückmeldungen waren sehr positiv, die Prozesse laufen gut, die Terminvergabe läuft schnell und sie fühlen sich gut aufgehoben. Es wurden nur Kleinigkeiten wie kaltes Licht oder wenig Zeitschriften bemängelt. Deshalb war Sina Berger froh, die Mitarbeitenden interviewt zu haben, denn aus ihrer Perspektive gibt es am Prozess noch ein paar Verbesserungsmöglichkeiten.

Input Alfred Angerer: Befragungen von Patientinnen und Patienten zu Verbesserungen sind oft schwierig, um an gute Lösungen zu kommen. Die Konsumentinnen und Konsumenten wissen oft nicht, was noch besser werden könnte.

Sina Berger: Diese Erfahrung hat auch sie während ihrer Arbeit gemacht, weshalb Interviews mit den Mitarbeitenden so wertvoll waren. Verbesserungspotential sehen sie im Bereich Kommunikation, Planung der Untersuchungstermine und transparente Prozesse. Hakt es an einer Stelle, hat dies Auswirkungen auf den gesamten Prozess, beispielswese wenn Patientinnen oder Patienten gesucht werden müssen. Diesem Problem könnte man beispielsweise mittels Standortlokalisierung mit IoT entgegentreten.  

Warten im Wartebereich ist ein bekanntes Problem, welches man beispielsweise mit IoT angehen kann. Eine digitale Wartezeitenanzeige wäre hier ein möglicher Ansatzpunkt.  

Musthaves, oder wie in Sina Berger's Arbeit Quickwins genannt, sind die Lösungen, welche am Interessanten sind, weil sie einen geringen Aufwand aber einen hohen Nutzen haben. In diese Kategorie gehören Lösungen wie Wartezeitenanzeige, Self Check In, virtuelles Erklärvideo und digitale Austrittsinformationen.

Input Alfred Angerer: Das sind alles Technologien, die einer Patientin oder einen Patienten verstehen zu helfen, was passiert und somit Sicherheit geben.

Sina Berger: äussert, dass dies eher punktuelle Beispiele seien. Es gibt andere IoT Lösungen mit hohem Nutzen, aber auch mit hohem Umsetzungsaufwand. Diese IoT's sind gut für einen durchgehend transparenten Prozess, welche den gesamten Patientenpfad betreffen. Daten können in Echtzeit gesammelt werden, es kann gleich reagiert und das System so strukturiert gesteuert werden. Das ist die Wunschvorstellung, dass Schnittstellen miteinander verbunden werden und somit das grösste Potential ausgeschöpft werden kann.  

 

Sina Berger war überrascht, dass das Thema Online Terminvereinbarung so beliebt war, weil sie davon ausgegangen ist, dass dies bereits überall etabliert ist. Als weiteres Begeisterungsmerkmal wurde die Wartezeitenanzeige genannt, womit Sina Berger gerechnet hat. Eine weitere Lösung, die gut bei den Patientinnen und Patienten ankommt, ist eine digitale Wegbeschreibung via App oder SMS. Diese Lösung wurde auch von den Mitarbeitenden als positiven Input wahrgenommen.  

Für mittelmässig Begeisterung hat beispielsweise das Sensorenarmband gesorgt. Negativ angekommen ist das digitale Aufklärungsgespräch oder das Self Check in, also beides Lösungen, wo Patientinnen und Patienten alleine digitale Tools nützen müssen.

In anderen Branchen hat sich IoT bereits umgesetzt, im Gesundheitswesen ist das Potential ebenfalls vorhanden und ist ein wichtiger Teil der Digitalisierung. Erste Spitäler implementieren bereits IoT Systeme, beispielsweise zur Wegfindung oder Standortlokalisation. Von Vorteil ist, dass IoT Systeme schrittweise implementiert werden können. Es braucht nicht von Beginn an ein grosses, teures System. Technisch ist bereits alles möglich, wichtig ist, zu schauen wo die Bedürfnisse und die Akzeptanz sind. Es braucht noch mehr used cases in diesem Bereich.  

Bei IoT geht es nicht nur um die Technik, es geht um die Datengenerierung. Diese helfen Transparenz zu schaffen, die Prozesse zu verbessern, zu überwachen und zu steuern. IoT bildet die Grundlage, um Algorithmen zu generieren und die künstliche Intelligenz und Robotik voranzutreiben. Deshalb ist Sina Berger überzeugt, dass IoT helfen wird, Geschäftsprozesse im Gesundheitswesen zu verbessern und die Effizienz zu steigern.  

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