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Q&A Sendung zum Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen

42 ELS Steuern Regulierungen Vergütung/Finanzierung Kommunikation Kultur Mitarbeitende/Zusammenarbeit Controlling Führung Organisation/Strukturen Leisten Kompetenzen Ressourcen Lean Prozesse Einkauf Produktion (Leistungserstellung) Entwickeln Innovation Vertrieb Forschung Marketing Strategie Start-ups Politik/öffentliche Hand Leistungerbringer Spitex Alters- und Pflegeheime Rehaeinrichtungen Arztpraxen Spitäler Digital Health: Innovationen und Trends Patientenzentrierung Interprofessionelle Zusammenarbeit Management im Gesundheitswesen Organisationsentwicklung und die Rolle von Holokratie Datenschutz- und Datensicherheit Elektronisches Patientendossier (EPD)

Es ist einmal wieder soweit und Alfred Angerer und Stefan Lienhard treffen zusammen für einen weiteren Digital Health Talk. Das Besondere an dieser magischen Folge 42 ist dabei jedoch, dass nicht die beiden Gastgeber des Podcasts Fragen an ausgewählte Fachpersonen des Gesundheitswesens stellen, sondern dieses Mal selbst in die Rolle der Befragten treten. Dafür haben sie in den vergangenen Wochen und Monaten Fragen der Community (auch einige Gäste der vergangenen Episoden sind darunter) rund um das Thema Management im Gesundheitswesen und Digital Health gesammelt und beantworten nun das Best-of zu Themen wie «Spital und Digitalisierung» und «EPD und andere Killer-Applikationen».

Hören Sie in diese interaktive Sondersendung und erfahren Sie, welche spannenden Antworten Alfred und Stefan auf Fragen von Patrick Betz, Marco Richard und anderen neugierigen und interessierten Fragenden liefern und beurteilen Sie selbst, wie sich die beiden in ihrer neuen Rolle schlagen.

Fragen und Antworten

Stefan Lienhard hat das Gefühl, dass die Frage nicht mehr ganz zeitgemäß ist. Noch vor einigen Jahren ist dies wahrscheinlich der Fall gewesen, da Digital Health Projekte primär die Systeme der IT beanspruchen. Heute ist dies seiner Meinung nach nicht mehr zwingend der Fall. So gibt er anhand der Schulthess Klinik das Beispiel, dass nahezu alle Bestrebungen und Projekte an den Geschäftszielen bzw. der Strategie und der Vision ausgerichtet werden. Einen interdisziplinären Ansatz, bei dem unterschiedliche Interessengruppen berücksichtigt werden, sieht er als fundamental an.

Alfred Angerer gibt ebenso wieder, dass Digital Health auch laut der Literatur nie nur ein reines IT-Projekt ist. Seiner Meinung nach sollte es selbstverständlich sein, dass jegliche Projekte an den Unternehmenszielen ausgerichtet werden. Es sollte weniger in einzelnen Silos, stattdessen mehr übergreifend gedacht werden In der Praxis ist dies jedoch nicht ganz einfach in der Umsetzung.

Stefan Lienhard berichtet, dass besonders in der Corona Krise unterschiedliche Fragen im Unternehmen aufkamen: «Wie oft, wie regelmässig, wie transparent und wie aktiv informiert ein Unternehmen seine Angestellten? Was sind die richtigen Kanäle (analog, digitale Medien)?»

Er erachtet es als relevant eine Art individuelle bzw. personalisierte Kommunikation zu den unterschiedlichen Interessen- und Berufsgruppen aufzubauen. Hierbei merkt er an, dass es sehr wichtig ist auch die Zielgruppen, die aufgrund Ihres Berufsbildes eine schwierige Erreichbarkeit besitzen, entsprechend informieren zu können.

Er glaubt, dass z.B. mobile Intranet Apps enorm an Fahrtwind gewonnen haben. Diese besitzen insbesondere den Vorteil einen mobilen Zugriff auf die relevanten Informationen zu schaffen. 

Stefan Lienhard gibt an, dass diese Problematik in der Schulthess Klinik angegangen wurde. Hier erhalten die Mitarbeitenden die Möglichkeit sich über Chatfunktionen des Intranets auszutauschen.

Beide Hosts sind sich einig darüber, dass Corona zwangsmässig Veränderungsprozesse mit sich gebracht hat. Aufgrund der rapiden Veränderungen in der Arbeitswelt mussten Unternehmen ins Handeln kommen und neue Wege in der Praxis einschlagen. Unter normalen Bedingungen wären viele Unternehmen sicherlich nicht in solch einer kurzen Zeit bereits ins Handeln gekommen. Stefan Lienhard macht dabei die Aussage: «Machen ist wie wollen, nur krasser».

Alfred Angerer nennt an dieser Stelle das «können, wollen, dürfen». Zu Beginn muss das «Why» beantwortet werden: Warum soll eine digitale Transformation im Spital stattfinden? Das gesamte Spital muss zuerst das Why eines Veränderungsprozesses verstehen und verinnerlichen, um diesen nachhaltig angehen zu können.

Das «Können», ob die nötigen und richtigen Ressourcen für eine Veränderungsprozess vorhanden sind, ist aus Alfred Angerers Sicht meistens das geringere Problem.

Das «Dürfen» beschreibt, dass zu klären ist, ob die richtige Strategie und auch Kultur in einem Unternehmen herrschen: «Haben wir die richtigen Mitarbeitenden, die richtige Kultur, das richtige Ziel?»

Alfred Angerer spricht an dieser Stelle unterschiedliche Strategien an. Das gängigste (Lehrbuch-)Beispiel, stellt dabei die Erarbeitung eines Patientenpfades, welcher anschliessend optimiert werden soll, dar. Die zweite Strategie beschreibt die Fokussierung auf die Prozesse der Mitarbeitenden. Hier kann analysiert werden, welche Prozesse die meisten Mitarbeitenden-Ressourcen beanspruchen und an welchen Stellen Optimierungspotentiale existieren.

Stefan Lienhard stellte in seiner eigenen Master-Forschungsarbeit unterschiedliche Umsetzungsbarrieren der digitalen Transformation heraus, auf welche er hier zu sprechen kommt. In qualitativen Experteninterviews stellte er unter anderem folgende Hürden der digitalen Transformation heraus:

  • Finanzielle Ressourcen
  • Fehlendes Knowhow im Management
  • Fehlende Vision und Strategie
  • Fehlende Rahmenbedingungen, z.B. technologische Barrieren

Stefan Lienhard hofft, dass sich in Zukunft einige Änderungen für die Spital-Patientenschaft ergeben werden. So hofft er, dass diese einen schnelleren und einfacheren Zugang zu den eigenen Gesundheitsdaten erhalten werden. Auch glaubt er, dass es zu mehr Transparenz und Unabhängigkeit bzgl. Ort und Zeit in der Behandlung kommen wird. Zudem führt er an, dass die Komplexität der Patientenpfade insgesamt abnehmen wird, wodurch die Prozesse für die Patientinnen und Patienten einfacher werden. Den Umstieg von der analogen Fax- und Papierkultur auf digitale Alternativen erachtet er als sinnvoll und zeitgemässer. Zu guter Letzt spricht er an, dass die Themen Edu- bzw. Infotainment in Zukunft sicherlich mehr Einzug in den Patientenpfad halten werden.

Stefan Lienhard findet diese Frage schwer zu beantworten. Seiner Meinung nach wird hier die interdisziplinäre Zusammenarbeit unterschiedlicher Stakeholder aus dem Gesundheitswesen gefordert sein.  Zuerst ist es jedoch notwendig die grundlegenden gesetzlichen Rahmenbedingungen durch die Politik festzulegen.

Alfred Angerer wünscht sich, dass mehr zentral geregelte Impulse gegeben werden, um den Prozess der Digitalisierung im Schweizer Gesundheitswesen voranzutreiben. Hierbei kommt er positiv auf das Beispiel des health innovation hub in Deutschland zu sprechen. Dieser wurde von dem Bundesministerium für Gesundheit ins Leben gerufen, um Innovationen auch in der Praxis voranzutreiben. Die Verbindung von öffentlichen und privaten Institutionen und Stakeholdern erachtet er als sehr vorteilhaft.

Alfred Angerer sagt aus, dass künstliche Intelligenz derzeit v.a. bei bildgebenden Diagnostiken z.B. in der Radiologie verwendet wird.  Dabei berichtet er von einem Praxisbeispiel, bei dem v.a. der administrative Bereich durch die Nutzung von künstlicher Intelligenz verkleinert wurde. Demnach hält er es für möglich, dass vorerst die medizinisch unterstützenden Bereiche durch künstliche Intelligenz reduziert werden.

Alfred Angerer ist zudem der Auffassung, dass es zu keinem radikalen Jobverlust kommen wird, wie er oftmals befürchtet wird. Er denkt viel mehr, dass neue Technologien vor allem als Unterstützung bei der täglichen Arbeit angesehen werden können bzw. sollten.

Stefan Lienhard bestätigt Alfred Angerers Ansichten. Seiner Meinung nach können keine allgemeingültigen Aussagen hinsichtlich der Auswirkungen der künstlichen Intelligenz auf die Berufe des Gesundheitswesens getroffen werden. Hier ist eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Tätigkeiten von Nöten.

Zudem verweist Stefan Lienhard auf eine Aussage aus seiner Masterthesis, die die Frage aufwirft, wer schneller im „Rennen“ um das zukünftige Gesundheitswesen ist: „Werden grosse globale Player (z.B. Amazon) schneller qualitativ hochwertige medizinische Leistungen anbieten, oder werden Spitäler es schneller schaffen sich der Digitalisierung anzunehmen?“

Alfred Angerer verweist hier auf drei Ergebnisse einer vergangenen Expertenbefragung zur Entwicklung des Gesundheitswesens in den nächsten 10 Jahren:

1. Die Mehrheit der Befragten erhofft sich zukünftig eine starke Qualitätsverbesserung der medizinischen Leistungen durch die Nutzung von AI.

2. Der Grossteil der Befragten erwartet in Zukunft keine triviale Veränderung der Kosten im Gesundheitswesen durch die Nutzung von AI.

3. Der Grossteil der Befragten wünscht sich, dass die künstliche Intelligenz das Gesundheitsfachpersonal stark in der Administration entlasten wird.

Alfred Angerer verweist an dieser Stelle auf eine Forschungsarbeit des WIG-Institutsleiters Simon Wieser: «Synthesebericht : ökonomische Evaluation von Präventionsmassnahmen in der Schweiz».

Diese Forschungsarbeit zeigt auf, dass Investitionen in den Bereich der Prävention als grundlegend sinnvoll erachtet werden können. Im Detail wurden in dieser Studie die Kostenersparnisse erforscht, die durch Investitionen in die Prävention von Strassenverkehrsunfällen und in den Tabak- und Alkoholkonsum erreicht wurden.

Dabei wurde herausgefunden, dass der Return-on-Investment (ROI) im Bereich der Strassenverkehrsunfälle beim Faktor 9,4 liegt. Durch Investitionen i.H.v. 5 Mrd. CHF konnten Kosten i.H.v. von 53 Mrd. CHF vermieden werden. Der ROI im Bereich des Tabakkonsums liegt beim Faktor 41. Der ROI im Bereich des Alkoholkonsums liegt beim Faktor 23. Durch Investitionen i.H.v. 22 Mio. CHF in die Verhaltensprävention des Alkoholkonsums konnten Kosten i.H.v. von 520 Mrd. CHF vermieden werden.

Stefan Lienhard verweist darauf, dass grundsätzlich keine Personengruppe durch die Digitalisierung ausgeschlossen werden darf. „Offliner“ dürfen demnach keine Nachteile gegenüber „Onlinern“ besitzen.

Laut der Strategie 2030 des BAGs soll die Bevölkerung in der individuellen Gesundheitskompetenz gefördert werden, wozu Stefan Lienhard auch eine Stärkung der digitalen Kompetenz zählt.

Ziel der Digitalisierung im Gesundheitswesen soll es sein, das Gesundheitsfachpersonal in der täglichen Arbeit zu unterstützen bzw. zu entlasten. Somit sollte der Fokus wieder auf den Kern der Arbeit, also auf die Arbeit mit und an den Patientinnen und Patienten und nicht auf bspw. administrative Arbeiten gerückt wird. Die Menschlichkeit soll demnach nicht durch die Digitalisierung abgeschafft oder gemindert werden.

Stefan Lienhards Meinung nach sollten die Patientinnen und Patienten viel einfacher und schneller die eigenen Gesundheitsinformationen einsehen und mit den relevanten Stakeholdern teilen können.

Er erachtet es aktuell jedoch als eher schwer der Patientenschaft den direkten Mehrwert des EPDs darzustellen, da dieses (noch) in einer nur unausgereiften Form vorliegt.  

Alfred Angerer verweist an dieser Stelle auf die Relevanz der Leistungserbringer und der Behörden, um der Patientenschaft die Potentiale des EPDs näherzulegen.

Im MAS Managed Healthcare an der ZHAW wird das Thema EPD innerhalb des Moduls «koordinierte Versorgung» aufgegriffen. Dabei wird der aktuelle Status des EPDs betrachtet und die damit verbundenen Potentiale aus Sicht der Patientinnen und Patienten entsprechend mit den Studierenden diskutiert.

Kurzfristig gesehen wäre aus Alfred Angerers Sicht ein elektronischer Impfpass eine sehr erfolgreiche digitale Lösung.

Auf langfristige Sicht braucht es wahrscheinlich keine «Killer-App», die zu einer Revolution des Gesundheitswesens führt. Er erachtet viel mehr die hohe Zahl an Apps und Innovationspotentialen als ausschlaggebend, da diese aufsummiert grosse Veränderungen mit sich bringen werden. Gegebenenfalls werden auch strukturelle oder politische Entscheide, wie z.B. die App auf Rezept in Deutschland, zu drastischen Veränderungen führen.

Stefan Lienhard teilt die kurzfristige Sichtweise von Alfred Angerer.       Er glaubt zudem, dass auf langfristige Sicht nicht zwangsläufig Apps das Medium der Wahl sein werden. So könnte er sich bspw. vorstellen, dass ein Gagdet das «next big thing» sein könnte, welches ein einfaches Problem löst und unterschiedliche Funktionen vereint. Hier nennt er die These: «In der Einfachheit liegt die grösste Herausforderung».

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