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Patrick Betz –Verschlussakte Lean: Die volle Wahrheit

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Alfred Angerers heutiger Gast Patrick Betz gilt als Pionier der erfolgreichen Umsetzung von Lean Management im Schweizer Gesundheitswesen. Der Wirtschaftsingenieur und derzeitige Student am MIT ist ehemaliger Lean Berater, Dozent im Bereich Lean für Industrie und Gesundheitswesen sowie Mitglied der Geschäftsleitung bei Vamed Health Project Schweiz AG, in welcher er die Lean Philosophie im Neubau und Umbau von Gesundheitseinrichtungen verfolgt. In dieser Podcast Episode berichtet er von seiner persönlichen Lean Journey und wie sich Lean im Schweizer Gesundheitswesen verankern lässt. Dabei zeigt er auf, was funktioniert und was nicht und berichtet auch von anschaulichen Fehlerbeispielen. Wichtig, so betont er, um Lean in Spitälern zu verankern, ist ein hohes Ausmass an positiver, produktiver Organisationaler Energie der Mitarbeitenden und dass sich sowohl die Pflegefachkräfte als auch die ÄrztInnen der Lean Philosophie verschreiben.

Hören Sie in diese Podcast Episode, um die Verschlussakte Lean noch weiter zu öffnen und auch mehr darüber zu erfahren, was sich hinter dem Konzept der Organisationalen Energie verbirgt, welches hier auch noch mal ausführlicher erklärt wird, ebenso wie in diesem Buch.

Fragen und Antworten

Patrick Betz ist Wirtschaftsingenieur und derzeitiger Student am MIT, ehemaliger Lean Berater, Dozent im Bereich Lean für Industrie und Gesundheitswesen sowie Mitglied der Geschäftsleitung bei der Vamed Health Project Schweiz AG.

Fakt 1: Patrick Betz hat 52 Bücher über das Thema Lean Management gelesen, über 750 Verantwortungsträger mit der Thematik in Verbindung gebracht und sieht sich weiterhin als Lernender bzw. Anfänger der Lean-Reise.

Fakt 2: Das Thema Lean Management im Gesundheitswesen erklärt er anderen Personen am besten anhand von Beispielen aus anderen Branchen.

Fakt 3: Er ist seit kurzem wieder Student am MIT im Bereich Design Thinking und Lean im Gesundheitswesen.

Die Vamed AG ist ein Teil des Fresenius Gesundheitskonzerns, welcher weltweit über 300'000 Angestellte besitzt.

Die Vamed AG hat weltweit knapp 18'000 Mitarbeitende und fokussiert sich v.a. auf die innovative Ideenentwicklung von Spitalprojekten von der Planung bis hin zur Ausstattung und dem Betrieb.

Die Vamed AG ist in der Schweiz vor allem durch die 3 Rehakliniken in Seewyss, Zihlschlacht und Dussnang bekannt. Dieses Jahr wurden knapp 1000 weltweite Spitalprojekte durch die Vamed AG realisiert.

Patrick Betz kam erstmals durch seine Ausbildung zum Rettungssanitäter mit dem Gesundheitswesen in Kontakt. Während dieser Tätigkeit kam er häufiger in Kontakt mit Problematiken im Gesundheitswesen, wie z.B. hohen Wartezeiten in der Notfallambulanz.

Nach seiner nachgeholten Maturität studierte er Wirtschaftsingenieurswesen in Berlin. Hier hatte er nur im theoretischen Rahmen Kontakt mit dem Thema Lean-Management. Anschliessend begann er einen Job bei der ABB in der Schweiz als Innovationsingenieur. Während dieser Tätigkeit kam er das erste Mal mit Kaizen Boards und dem damit verbundenen Optimierungscharakter in Kontakt.

Patrick Betz berichtet darüber, dass er durch seinen MBA im Bereich Innovations- und Changemanagement mit dem Thema Lean Managemetn im Gesundheitswesen in Kontakt kam. Nach seinem MBA war PB in einem Beratungsunternehmen tätig, welches sich auf die Lean Thematik fokussierte und diese branchenübergreifend von der Industrie in das Gesundheitswesen implementieren wollte.

PB erzählt, dass sich sein ehemaliges Beratungsunternehmen zuerst über Fehler aus anderen Implementationsversuchen informierte, bevor es an die Einführung bei Akteuren im Gesundheitswesen gehen sollte. Begonnen wurde mit kleinen Kantonsspitälern und dem Vorhaben die Zeit der Pflegepersonen am Bett zu erhöhen.

Zudem berichtet er darüber, dass die wesentlichen Fehler der Einführung von Lean oftmals darin lagen, dass keine Lern- bzw. Fehlerkultur in den jeweiligen Unternehmen bestand. Demnach wurden Projekte, die nicht direkt erfolgreich schienen, sehr häufig nach dem ersten Scheitern verworfen, anstatt aus den Fehlern zu lernen und die eigene Herangehensweise zu reflektieren und zu optimieren. Seiner Meinung nach ist das Scheitern als Teil der Lösung heute viel zu wenig toleriert.

Patrick Betz berichtet von der Problematik, dass Unternehmen, die ein externes Beratungsunternehmen konsultieren, oftmals ein All-In-One Paket erwarten, welches mit direktem Erfolg verbunden ist.

Dabei sticht jedoch hervor, dass externe Lösungen oftmals ohne jegliches Mitwirken des eigenen Unternehmens eingekauft werden. Dadurch erhalten die entwickelten Massnahmen und Lösungen einen gewissen extrinsischen bzw. «unternehmensfremden» Charakter («not invented here»).

Das erste Spital konnte durch einen Spitals-CEO gewonnen werden, der Lean nach dem Top Down Prinzip in einer Station seiner Klinik einführen wollte. Anhand des Einführungsprozesses in dieser Station konnten viele Erfahrungen gewonnen werden.

Als Berater verzeichnete Patrick Betz eine Art Cash-Out, da Berater nicht auf der üblichen Kostenrechnung des Personals auftauchen. Auch kann hier von einer höheren Aufmerksamkeit der Geschäftsleitung (Management Attention) gegenüber den Veränderungsprozessen gesprochen werden, was wiederum mit einer höheren Motivation der Geschäftsleitung einhergeht.

Berater haben zudem ein gewisses Mass an Macht, sind jedoch nur für einen gewissen Zeitraum im Unternehmen tätig. Um nachhaltige Veränderungen zu bewirken müssen die Mitarbeitenden den Prozess und die dahinterstehende Sinnhaftigkeit verstehen.

Ausserdem berichtet er von dem Wechsel zwischen seiner externen Beratertätigkeit und dem festen Einsatz als interner Lean Manager in einem Spital. Die interne Tätigkeit ist v.a. dadurch geprägt, dass die Aufmerksamkeit der Geschäftsleitung geringer ist, als bei einem externen Berater. Die Management Attention sinkt in gewissem Masse.

Zudem berichtet er davon, dass eine berufsgruppenspezifische Offenheit für die Lean-Thematik gibt. Genauso gibt es wiederum andere Bereiche und Individuen, die Veränderungsprozessen eher geschlossen gegenüberstehen und nur auf Zwang reagieren.

Patrick Betz ist der Meinung, dass beide Formen eine Berechtigung und eigene Vor- und Nachteile besitzen. Seiner Auffassung nach hat Lean im Gesundheitswesen meist noch den Charakter von «Punkt Kaizen». Seltener ist die Form des «Flow Kaizen» zu finden. Hinsichtlich des als erfolgreich anzusehenden «System Kaizen» besteht seiner Aussage nach noch viel Potential in der Landschaft des Gesundheitswesens.

Zudem ist Patrick Betz der Meinung, dass in Zukunft grosse Veränderungen im Gesundheitswesen zu erwarten sind. Hier wird es sehr wahrscheinlich nötig werden, Know-How von externen Beratern, ggf. auch grenzüberschreitend, einzuholen, um dieses in den eigenen Reihen zu implementieren.

Patrick Betz kann aus seiner eigenen Erfahrung kein Erfolgsbeispiel für eine solche Bottom-Up-Lean-Bewegung benennen. Zudem beschreibt er, dass diese Form als Punkt-Kaizen beschrieben werden kann. Seiner Erfahrung und seinem Wissen nach ist es ein fiktiver Wunsch, dass sich der Lean-Gedanke von einer Abteilung ausgehend auf ein gesamtes Spital verbreitet.

Die Top-Down Einführung ist Patrick Betz Erfahrung nach eine typische Herangehensweise. Oft wird ein Pilotprojekt in einer Abteilung gestartet („Leuchtturm“) und von dort ausgehend ohne Analyse, beinahe schablonenartig, auf andere Abteilungen ausgerollt. Diese Vorgehensweise ist in seinen Augen ein nur wenig erfolgreicher Weg, da jede Abteilung einen eigenen Mikrokosmos mit sich bringt und somit individuelle Eigenschaften und Bedürfnisse besitzt.

Leider kommt es nur eher selten dazu, dass ganze Teams gemeinsam einen Optimierungsprozess lostreten. Dies jedoch eine der besten Voraussetzungen, um einen erfolgreichen Veränderungsprozess einzuleiten.

Im Akutbereich ist die Pflege die grösste Berufsgruppe. Durch die Größe nimmt diese eine hohe Relevanz für die Spitäler ein. Somit kann hier stark über einen monetären Wert von Optimierungs- und Veränderungsprozessen argumentiert und motiviert werden.

Hier bestehen grundsätzlich viele Potentiale. In Pflegeeinrichtungen kann beispielsweise sehr häufig schon bei der Hotellerie begonnen werden. Oft stellt sich der Glaubenssatz ein, dass sich Lean Management nur im Bereich der Pflege eignet. Um den Blickwinkel für die Wirksamkeit in anderen Bereichen zu erweitern verfolgt Patrick Betz gerne den Ansatz, mit der Einführung von Lean Methoden bei der Ärzteschaft zu beginnen.

Patrick Betz Aussage nach ist Lean ein Thema, welches bei dem Pflegepersonal sehr etabliert und entsprechenden verfeinert ist. Seiner Erfahrung nach stösst das Thema hier fast ausschliesslich auf offene Ohren und wird sehr dankbar entgegengenommen. Die Gefahr, dass das Pflegepersonal Lean Management als ein exklusives Tool für die Ärzteschaft ansieht, besteht seiner Meinung nach nicht.

Im post-akuten Bereich sind besonders Therapeutinnen und Therapeuten gefragt. Dieses Berufsbild bringt grundlegend andere Anforderungen mit sich. Seiner Erfahrung nach sind Personen in dieser Branche jedoch genau so offen und dankbar bzgl. des Lean Managaments, wie die Pflegeschaft.

In der Administration stellt sich das ganze Unterfangen deutlich schwieriger, mit spürbar mehr Optimierungspotential, dar. Gerade die Administration ist von papierbasierten Prozessen geprägt, die oftmals in direkter Form digitalisiert, jedoch vorgängig nicht zwangsläufig optimiert werden.

Die Philosophie, die hinter dem Lean Management steht, ist ein wichtiger Faktor. Jedoch ist Patrick Betz froh, dass es Werkzeuge gibt, die nahezu überall wirkungsvoll sind und einen Nutzen entfalten. Zu diesen zählt er bspw. Analysen, Gemba Walks, Messungen oder Kaizen Boards.

Auch Simulationen sind nützliche, seiner Meinung nach jedoch eher high-level Tools, welche nicht für den Einstieg in das Lean Management benötigt werden. Durch diese können unglaublich viele Faktoren abgebildet und visualisiert werden. Für ein erfolgreiches Lean Management sollte das Prinzip “Win the princess, slay the dragon” erfüllt sein. Demnach müssen insbesondere die betroffenen Abteilungen durch den Sinn bzw. Nutzen der Methoden gewonnen werden.

Patrick Betz ist der Auffassung, dass Personen aus allen Bereichen auf unterschiedlichste Weise von Weiterbildungen und Schulungen zu dieser Thematik profitieren können. Selbst eintägige Seminare können grosse Erkenntnisse mit sich bringen. Oftmals bringt schon der interprofessionelle Austausch unterschiedlicher Akteure zum Thema Lean Managemetn viele Benefits mit sich.

Patrick Betz berichtet von dem Ansatz der Organisationalen Energie von Heike Bruch der Hochschule Sankt Gallen. Über dieses Tool kann die Energie der Mitarbeitenden in einem Unternehmen/ einer Abteilung/ einem Team abgebildet werden. Dabei wird unterschieden in hoch korrosive und hoch produktive Mitarbeitende.

Er berichtet zudem von der Problematik, dass sich Führungskräfte in Veränderungsprozessen meist stärker auf die unzufriedenen Mitarbeitenden (korrosive), statt auf die produktiven Mitarbeitenden fokussieren. Nur die hoch produktiven Mitarbeitende bringen den Lean-Prozess jedoch weiter voran und sollten daher die Management Attention geniessen: „Lean gelingt mit den produktiven bzw. den positiv energetischen Mitarbeitenden“.

Patrick Betz würde diese Herangehensweise in Anbetracht der jeweiligen Firmenkultur unterstützen. Hier empfindet er, dass eine Kultur der Autonomie und Sinnhaftigkeit mit einer Fehlerkultur und v.a. dem Drang nach Weiterentwicklung vorhanden sein muss.

Bei dieser Vorgehensweise kann es ganz klar zu Spannungen zwischen den korrosiven und produktiven Mitarbeitenden kommen. Hier verweist Patrick Betz auf eine Forschungsarbeit von Heike Bruch.

Agile Vorgehensweisen in klassische Projektmanagementmethoden zu integrieren funktioniert laut Evidenz und Patrick Betz Erfahrung nach nicht. Agile Firmen unterscheiden sich oftmals stark von den «klassischen» Unternehmen.

In der Schweiz ist noch nicht bekannt, wie ein komplettes Lean Hospital funktioniert. Positivbeispiele mit fortschrittlichem Charakter lassen sich jedoch an der amerikanischen Westküste finden.

Dies basiert darauf, dass bspw. in den USA ganz andere Berufsbilder, als in der Schweiz existieren. Auch der Arbeitsmarkt, sowie Angebot und Nachfrage im Gesundheitswesen variieren enorm. Patrick Betz merkt zudem kritisch an, dass v.a. in den meisten Spitälern der USA ein Teamgeist über unterschiedliche Hierarchieebenen hinweg existiert, welcher in der Schweiz jedoch nur selten zu finden ist.

Zur Frage, ob Lean Beispiele aus den direkten Nachbarländern Österreich und Deutschland in die Schweiz übertragen werden können, kann Patrick Betz keine Auskunft geben.

In diesem Zuge berichtet Patrick Betz davon, dass sein Körpergewicht vor einigen Jahren um rund 40kg gestiegen ist. Unter der Nutzung von Lean-Werkzeugen hinsichtlich seines Ernährungsverhaltens konnte er sein übliches Körpergewicht wieder erreichen.

«Wer es schafft in der Schweiz ein wirkliches Lean Hospital, entweder auf der grünen Wiese, oder als Transformation auf die Beine zu stellen, der wird diese Gesundheitsmarkt disruptiv verändern. Disruptiv im besten Sinne. Er oder Sie wird erfolgreich sein, hohe MA Zufriedenheit, Pateientenzufriedenheit und vor allem, und dann auch wirklich sichtbar, die Kosten im Griff haben, sodass viele viele andere in Erklärungsnot kommen werden».

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