Im Digital Health Talk mit Stefan Lienhard ist heute der Unternehmensberater Matthias Mettler zu Gast. Als BWLer konzentriert er sich in seiner täglichen Arbeit auf das Gesundheitswesen. Mit seiner Leidenschaft für Digital Health ist er Mitgründer der Plattform www.health-trends.ch. Wie man systematisch neue Technologien, Themen und Trends findet, die für das Spital interessant sein könnten und vor allem wie man diese unter Abwägung aller Risiken und Chancen in das Gesundheitsunternehmen implementiert, diskutieren Alfred, Stefan und Matthias in dieser Folge.
Fragen und Antworten
Früher wurden Personen zur Sichtung von Trends in Rand- oder Nischengruppen ausgesendet. Heute wird die Digitalmanagerin oder der Digitalmanager ins Internet «geschickt», um herauszufinden was aktuelle Entwicklungen und Trends sind. Auf diese Weisen sollen für das Unternehmen interessante Technologien und Trends sowie deren Chancen und Risiken ausgemacht werden. Dies kann einen Teilaspekt des Innovationsmanagements darstellen.
Es liegt eine einfache Internetrecherche zu Grunde. Abonnemente von Plattformen und Newslettern kommen als ergänzende Informationsquellen hinzu. Zu bereits konkreteren Themen bietet es sich zudem an ein gezieltes Screening des Internets durchzuführen. Meist handelt es sich um Themen, welche in den verschiedensten Situationen aufgefallen sind. Ziel des Screenings ist die Aufarbeitung der aktuellen Entwicklungen und Trends für die Geschäftsleitungsebene.
Die Wichtig wurde mittlerweile sicherlich erkannt, um bestimmte Themen über die Zeit zu verfolgen. Es gibt aber sicherlich unterschiedliche Herangehensweisen und Prozesse in diesem Bereich. Wichtig ist das Bewusstsein dafür aus welchen Quellen Informationen stammen und wie diese aufbereitet sowie in den Prozess übergeben werden.
Die Orientierung findet am Perlen-Modell statt. Dies ist eine Analogie für ein Vorgehen zur Identifikation von Störfaktoren wie das Sandkorn für die Muschel und deren Aufarbeitung zu etwas Wertvollem wie einer Perle. In der Unternehmensberatung liegt die Konzentration auf der Identifikation von Störfaktoren sowie deren Umgang. Daraus sollen neue Ideen entwickelt werden, welche zur Verbesserung dienen.
Es gibt einen bestimmten Prozess im Hintergrund. Einleitend muss ein gemeinsames Verständnis über den Standpunkt des Unternehmens geschaffen werden. Zunächst sind der Kontext, die Unternehmensstrategie und der Zukunftsfokus zu erläutern. Mit diesem Input wird die Ausrichtung des Trendradars bestimmt. Als Starthilfe kann die Datenbank der Unternehmensberatung genutzt werden, um den Fokus zu finden. Sobald dieser gefunden wurde, startet die erste Screeningrunde über ca. 6 Monate. Währenddessen wird ein erster Zwischenbericht aufbereitet und anschliessend der Kundin oder dem Kunden vorgestellt. Inhalte hiervon sind beispielsweise die Meinung der Konsumentinnen- und Konsumenten zu den definierten Schwerpunkten oder auch die Entwicklungen der Konkurrenz und Partnerschaften.
Telemedizin ist ein Thema das beobachtet werden sollte, insbesondere vor dem Hintergrund von Corona. Zunächst könnte analysiert werden, was die Konkurrenz in diesem Bereich anbietet. Ein Fokus kann die Frage nach Partnerschaften und dem bereits erfolgten Einsatz bestimmter Technologien der Konkurrenz in diesem Bereich sein.
Relevant ist auch die Analyse der Unternehmen, welche solche Lösungen anbieten. Dies kann sich sowohl auf die Schweiz als auch auf das Ausland beziehen, um ein Bild des Marktplatzes Schweiz zu erhalten. Ergänzend sollten Informationen zum Stimmungsbild bei Patientinnen und Patienten bzw. zur Konsumentenmeinung zu diesem Thema eingeholt werden. Auf diese Weise zeichnet sich ein Bild über die mögliche Inanspruchnahme der Telemedizin für dieses Beispiel ab.
Diese Orientierung ist fast noch wichtiger. Schlussendlich bedarf es sowohl der Sicht auf die Technologie als auch auf die Sicht der Konsumentenbedürfnisse. Die Endkundenperspektive ist im Gesundheitswesen insbesondere relevant, da jede und jeder einmal Patientin oder Patient wird. Auf diese Weise kann bereits ein Ansatz erarbeitet werden, in dem sich Patientinnen und Patienten abgeholt fühlen. Der Kundschaft sollte ein Gefühl dafür vermittelt werden, welche möglichen Entwicklungen auf beiden Seiten durch beispielsweise veränderte Gesetze oder Markteintritte entstehen könnten.
Letzten Endes braucht es hier ein gutes Gespür, was der die Kundin oder der Kunde wirklich möchte. Oftmals nehmen die Personen den Input mit und lassen diesen in die Strategieprozesse einfliessen. Es gibt also ganz konkrete Beweggründe, weswegen ein bestimmter Fokus gesetzt wird.
Auf der anderen Seite ist es wichtig, die Rolle der Beratenden einzunehmen und die Kundschaft darauf hinzuweisen, was am Markt zusätzlich existiert. Das Trend- und Marktradar soll die Kundschaft dazu befähigen ausreichend früh reagieren zu können. Je nach Strategie des Spitals ist es die «Pflicht» der Unternehmensberatung auf andere Technologien wie die fokussierten hinzuweisen und konkrete Lösungen zu liefern.
Es stellt ein Zusammenspiel von Spital und Beratung dar. Es muss klar werden, welche Themen die Kundschaft wirklich interessiert. Nicht zu vergessen sind der aktuelle Stand sowie die geplante Entwicklung des Spitals, auch diese sind zu berücksichtigen. Während des sechs Monatigen Zyklus findet ein reger Austausch statt, welcher ggf. auch Input für einen Richtungswechsel bieten kann.
Auch die juristische Perspektive wird im Screening beleuchtet. Wichtige Punkte werden den Kundinnen und Kunden mit an die Hand gegeben. Im Team sind Fachpersonen mit juristischer Expertise. Es muss versucht werden, ein Thema aus dem gesamten Kontext zu begreifen.
Gerade im digital Health-Umfeld explodiert die Themenvielfalt und Technologien entwickeln sich rasend schnell. Es wird nahezu unmöglich wirklich alles im Blick zu halten. Für die Anfangsgespräche gibt es ein Themenraster mit Themenschwerpunkten, welches diskutiert wird. Darauf basierend werden die Trend-Use-Cases erarbeitet.
Vernetzung mit Experten kann zudem helfen, die Masse an Informationen zu selektieren. Diese können bei Unklarheiten ebenfalls kontaktiert werden, welchen Stand ein spezifisches Thema ausweist. Weiter gibt es intern viele Experten, welche Meinungen einfliessen lassen können.
Dieses Problem tauch immer wieder auf und insbesondere im Bereich von neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz. Es geht darum die breite der Perspektive beizubehalten und dennoch die Fähigkeit zu besitzen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Ein Mustervorgehen gibt es jedoch nicht. Der Kontext zu solchen Themen muss geschaffen werden.
Ein Gespräch auf Basis bestimmter Fakten sollte in solchen Situationen gesucht werden, um die Wichtigkeit des eigentlich ausgeschlossenen Themas zu verdeutlichen.
Niemand soll überstimmt, sondern mittels Fakten und Zahlen überzeugt werden. Die Beratung muss im Zweifel Material zur Argumentation bieten, weshalb ein Thema vielleicht nicht zwingend für eine bestimmte Abteilung relevant ist aber für das gesamte Unternehmen.
In den aller meisten Fällen ist dies sicherlich ein Treiber, da niemand bewusst ein Late-Follower sein möchte.
Es gibt Unternehmen, welche in bestimmten Bereichen Vorreiter sein möchten. Bei diesen Unternehmen reicht das Argument der Mitbewerbenden nicht aus. Das Standortgespräch ist in solchen Fällen sehr wichtig, um die Ambitionen des Unternehmens zu identifizieren.
Grundsätzlich geht es darum möglichst objektiv zu sein und solchen Vereinfachungen nicht zwingend eine Chance zu lassen. Die Herkunft der Quelle oder des Unternehmens ist beispielsweise sekundär. Mit Anhäufung von Fakten zum Potential einer Technologie kann mit gutem Gewissen vom Potential ausgegangen. Heuristiken sollten verhindert werden, da es die Arbeit im Bereich des Trendscreenings negativ beeinflusst.
Es kann sicherlich nicht pauschalisiert werden. Bei Innovationsthemen und dem Aufbau neuer Themen gibt es Herausforderungen, die aber lösbar sind.
Sicherlich hängt es auch von der Unternehmenskultur und der Sichtweise auf neue Technologien im Unternehmen ab. Hier gibt es aktuell einen Wandel. Es muss nicht mehr das komplett ausgereifte Produkt sein und Partnerschaften mit anderen Unternehmen halten Einzug in die Haltungen der Personen.
Der Hype-Cycle ist ein zentrales Element des Trend- und Marktradars. Es handelt sich um eine geschwungene Linie, die zu Beginn stark ansteigt und dann wieder stark abfällt. Diese stellt den anfänglichen Hype sowie die beginnende Müdigkeit gegenüber der Technologie dar. Gegen Ende steigt die Linie sanft wieder an. Dies ist der Zeitpunkt an dem eine Technologie sich etabliert und mehr Akzeptanz im Markt findet. Im Modell gibt es jedoch weitere Phasen, die im Verständnis schwieriger sind. Für das Trend- und Marktradar wird daher mit der vereinfachten Benennung act, evaluate und observe gearbeitet. Die Vereinfachung begleitet die initialen Phasen des Hype-Cycles. Beim starken Anstieg der Linie wird ein Trend beobachtet. Mit dem Übergang in den Abfall der Linie, wird versucht den Use-Case zu evaluieren. Mit dem erneuten Anstieg kommt die Phase act. In dieser Zeit gilt es, den Case umzusetzen. Die letzte und bisher nicht genannte Phase ist die Plattform-Phase. Das Thema ist zu diesem Zeitpunkt bereits im Markt etabliert und dient nicht mehr zur Differenzierung.
Das Thema ist wahrscheinlich am Übergang zwischen evaluieren und handeln. Es kommt aber darauf an, welche Facette betrachtet wird. Telemedizin als Kanal zur Kommunikation ist sicherlich weiter als act und geht in die Plattform-Phase über. Bei Telemedizin als Erfassung von Problemen wie beispielsweise eines digitalen Symptom-Checkers ist der Stand in der Schweiz noch bei evaluate. Telemedizin im Bereich von Genomics und Gentechnik kommt sehr früh im Cycle zu liegen.
Dem Hype-Cycle für das Trend- und Marktradar liegt eine Bewertung mittels Punkten zu Grunde. Die einzelnen Cases werden entlang der Markt-Konsumenten-Meinung, des Wettbewerbs und gesetzlich
regulatorischen Richtlinien evaluiert und bewertet. Mit sehr wenigen Punkten liegt der Case sehr früh im Cycle.
Der Hype-Cycle ist eines der zentralen Steuerinstrumente, da sich die Cases während der Dauer der Evaluation auf der Linie fortbewegen.
Das Ertragspotential sowie der Umsetzungsaufwand werden ebenfalls in einer Matrix beleuchtet. Die Cases werden dann in der Matrix abgebildet. Hierzu fliessen Schätzungen zu beispielsweise der Veränderung der Ertragssituation des Spitals ein. Bei Technologien, welche weiter weg vom Kerngeschäft sind, wird versucht Möglichkeiten zur Monetarisierung aufzuzeigen.
Diese Einordnung hilft zur Identifikation von zu fokussierenden Cases.
Typischerweise liegen wenige Cases oben rechts in diesem Feld. Die Auswahl der Cases bzw. der Fokus der Bewertung macht sicherlich einen Unterschied.
Interessant sind aber nicht nur die Cases oben rechts. Cases in der Mitte auf der Diagonale der Matrix sind ebenso interessant. Die Auswahl eines Cases sollte sich am Kerngeschäft orientieren und ein ausgewogenes Verhältnis von Ertrag und Kosten beinhalten.
Oftmals schrecken die initialen Investitionskosten ab. Dies ist eine Challenge, welche zu beachten ist. Die Bedeutung und das Potential einer Technologie innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre darf nicht aussen vorgelassen werden.
Es muss ein Zusammenspiel aus Report und Initiative der entsprechenden Personen erfolgen. Grundsätzlich ist ein gewisses Standing im Spital sehr hilfreich, um Überzeugungsarbeit zu leisten.
Die Zusammenschau der internen und externen Sichtweise kann nochmals als Bestätigung für eine ausführliche Evaluation einer Technologie dienen.
Der Mehrwert liegt bereits in der Sicherstellung der Informationen zum aktuellsten Stand von Trends und Technologien. Die Vielfalt an Technologien ist für die Praxis herausfordernd, da zusätzlich andere Projekte abgewickelt werden müssen. Die Reports bilden eine gute Basis und sind optisch ansprechend aufbereitet.
Die personelle Entlastung ist sicherlich ein Hauptargument, da Innovationsabteilungen oftmals noch aus einzelnen Personen bestehen. Weiter stellt natürlich die Geschwindigkeit der Entwicklungen für einzelne Personen eine grosse Herausforderung dar. Das Rada bietet einen Kanal einzelne Themen gezielt zu besprechen und Expertenmeinungen einzuholen. Das breite Experten-Netzwerk für den Trend- und Marktradar bietet hier zusätzliche Chancen.
Das ist gut möglich. In erster Linie wird das Trend- und Marktradar Angebot als Führungs- und Analyseinstrument verstanden. Solche Prozesse können unterschiedlich aufgesetzt werden. Je nach Anspruch eines Spitals bedarf es zudem nicht zwingend solcher Prozesse, sondern es wird auf die Reaktion des Marktes und der Patientinnen und Patienten gesetzt. Letzten Ende geht es darum, den mit dem Wandel betrauten Personen einen Service sowie Instrumenten zur Führung der Prozesse an die Hand zu geben. Darauf basierend können weitere Informationen und Expertenmeinungen eingeholt werden.
Ja es ist hilfreich klein zu starten. Es kann sich um eine reine Marktbeobachtung von beispielsweise Kooperationen und Partnerschaften handeln. Zu Beginn muss aber zunächst ein Prozess etabliert werden und die Zusammenarbeit muss sich entwickeln.
Die Themen können stark veränderungsgetrieben sein. Es bieten sich dennoch auch Themen mit langsamer Entwicklung an. Primär soll die Veränderung eines Themas aufgezeigt werden.
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