Gemeinsam mit Stefan Lienhard berichtet diesmal Alfred Angerer, selbst, über seine vor Kurzem publizierte Studie. Darin beschreibt er den digitalen Wandel im Schweizer Gesundheitswesen und welche Handlungsfelder sich für die Akteure ergeben. Die prägenden Technologien haben einen Einfluss auf das Patientenverhalten in der Health Value Chain. Die Leistungserbringer müssen Ihre Strategie anpassen, um die Digitale Transformation nicht zu verpassen.
Hier geht’s zur Studie: https://www.zhaw.ch/storage/sml/institute-zentren/wig/upload/Digital_Health_Report_2019.pdf
Fragen und Antworten
Das grosse Stichwort hierbei ist Orientierung. In der Praxis wird überall von Digital Health gesprochen. Es ist aber unklar, was das genau für die Praxis bedeutet. Aus diesem Grund sollte mit dem Report ein Überblick gegeben, Trends erklärt und die vorhandenen Optionen aufgedeckt werden. Auf diese Weise kann eine digitale Strategie für das eigene Unternehmen entwickelt werden.
Es gibt noch einige Begriffe mehr wie Health 4.0 oder Smart Health. Das spannende ist, dass es sich hierbei um ein neues Wissensgebiet handelt. Allgemein gültige Definitionen gibt es daher nicht. Für den Report wurden daher folgende Definitionen verwendet:
- Digital Health = Einsatz von moderner Informations- und Kommunikationstechnologie im Gesundheitswesen mit dem Ziel Qualität, Effizienz und eine bessere Ausrichtung auf die Patientinnen und Patienten zu erreichen
Digital Health wird als Überbegriff verwendet. Darunter finden sich nach der Definition der Studie vier Unterbereiche:
- eHealth = Teilnehmende sind mit einander vernetzt und tauschen Daten aus z.B. EPD
- Tech Health = technisch orientierten Gesundheitsanwendungen mit physischer Hardware-Komponente z.B. Einsatz von Robotern
- Data Health = Verwendung von Datenanalysen im Gesundheitswesen z.B. AI
- Trend Health = Grenzen zwischen Gesundheit und den Bereichen Wellness und Wohlbefinden verschwimmen, fliessender Übergang zu Lifestyle-Bereichen z.B. Smart-Watch oder Schrittzähler
Push vs. Pull – Nach dem Pull-Prinzip werden für bestehende Probleme die passenden Lösungen gesucht. Es ist aber nach dem Push-Prinzip möglich, zu überlegen, welche Probleme mit einer Technologie auf dem Markt gelöst werden können. Als Beispiel für ein Technologie-Push ist ein Startup zu nennen, das mit einfachsten Handys und der eigenen Software 3D-Scans durchführen können. Das Handy wird einmal um den Kopf geführt und es entsteht ein 3D-Modell des Kopfs. Die Frage hierbei war, welches Problem im Gesundheitswesen mit solch einer Software gelöst werden kann.
Der Technologie-Push kommt jedoch nicht nur von kleinen Start-ups. Auch die grossen Technologie-Unternehmen wie Google, Facebook und Amazon drängen auf den Gesundheitsmarkt. Diese Push teilweise zu Kampfpreisen ihre Technologien in den Markt.
Letztendlich sind die Gesundheitsmärkte noch sehr national begrenzt und geschützt. Aus diesem Grund ist das in der Schweiz derzeit noch nicht spürbar. Bei Befragungen wird jedoch deutlich, dass die grosse Mehrheit davon überzeugt ist, dass branchenfremde Unternehmen eine grosse Rolle im Schweizer Gesundheitswesen spielen wird. Es wird sogar angenommen, dass diese den Markt überrollen. Die Migros mit der Apotheke zur Rose, ihren Fitnesscentern oder auch eigenen Arztpraxen kann als Beispiel für eine solche Entwicklung in Schweizer Markt gesehen werden.
Die bekannte Studie der Bertelsmann Stiftung vergibt für die Schweiz den 14ten von 17 Plätzen. Die Schweiz steht hier noch am Anfang und ist derzeit auf dem Weltmarkt noch nicht kompetitiv.
Es gibt viele einzelne, kleine Lösungen, Veränderungen und Ideen. Das ist für die Praxis eher verwirrend durch die Vielzahl an Optionen. Es war aber möglich diese Vielzahl an Optionen in drei grosse Veränderungsfelder einzuteilen. Momentan ist die erste grosse Veränderung auf dem Markt Gesundheitsförderungen und Prävention. Die Patientinnen und Patienten können sich beispielsweise über Apps informieren und kleine Selbstdiagnosen erstellen. Das macht möglicherweise einen Eintritt ins Gesundheitssystem redundant. Solche Möglichkeiten bringen viele Vorteile und Kosteneinsparungen für das Gesundheitssystem. Die zweite grosse Veränderung ist die Transparenz bei den Leistungserbringenden. Hierbei geht es darum, wie sich beispielsweise Therapien oder Diagnostik durch den Einsatz von Technologien verändern. Die Art und Weise wie Mitarbeitende arbeiten wird sich durch Technologie stark verändern. Das dritte Veränderungsfeld ist der Fluss zwischen einzelnen Akteurinnen oder Akteuren. Das Gesundheitssystem ist komplex und stark vernetzt. Die spannenden Fragen sind hier der Einstieg in das Gesundheitssystem und die Vernetzung zwischen den Akteurinnen und Akteuren. Durch die aktuelle geringe Vernetzung zwischen ihnen zeigt sich hier ein grosses Potential zur Veränderung.
Zu Beginn ist es sinnvoll bei den grossen Klassikern anzufangen wie das kompetitive Denken. Das Unternehmen soll besser sein als die Konkurrenz.
Im Bereich der Strategie gibt es drei Grundstrategien:
- Produktführende: Das Produkt ist (technologisch) so fortgeschritten, dass die Kundschaft nur dieses haben möchten.
- Operative Exzellenz: Die Kundschaft zieht das Unternehmen vor, da es besonders günstig ist, besonders einfache Prozesse hat oder der Service besonders schnell, einfach und zuverlässig ist.
Kundennähe: Die Kundschaft kommt zum Unternehmen, da die Bedürfnisse berücksichtig werden und individuelle Leistungen angeboten werden.
Der Begriff disruptive Innovation wird sehr inflationär verwendet. Innovation bedeutet Erneuerung. Das kann beispielsweise Produkte, Dienstleistungen, Geschäftsmodelle oder Prozesse betreffen. Eine echte Innovation ist erst vorhanden, sobald diese auch auf dem Markt angekommen ist. Ohne auf die vier Felder einzugehen, bedeutet disruptive Innovation etwas Bahnbrechendes, etwas was es auf dem Markt bis dato noch nicht gab. Das kann einerseits eine Technologie an sich sein, andererseits der Nutzen oder Einsatz der Technologie. Als Beispiel kann das dänische Start-up Corti zu nennen. Diese hatten das Bestreben die Diagnostik von Herzstillständen mittels Deep Learning Algorithmus zu verbessern. Aus einer Vielzahl von Anrufen wurde der Algorithmus geschult und hört nun mit, um gezieltes Fragen zu ermöglichen. Hierbei handelt es sich um wirkliche disruptive Innovation.
Hier ist es sinnvoll nach Veränderungsfeld zu trennen. Im Bereich von Gesundheitsförderung und Prävention werden es vermutlich Digital Assistants sein, welche helfen das eigene Leben so zu führen und zu steuern, um gesünder und besser zu leben. Im Bereich Diagnostik und Therapie explodiert die Literatur derzeit mit Artikeln zu künstlicher Intelligenz und wie diese den Menschen „überholt“ hat. Es ist jedoch klar, dass der Einsatz dieser Technologie nicht in allen Feldern der Medizin möglich sein wird, da grosse Datenmengen benötigt werden. Im Bereich des Flusses von Patientinnen und Patienten sollte die Veränderung nicht technologiegetrieben sein. Zwar kann hier über Telemedizin und Apps nachgedacht werden, aber das ist derzeit nicht das Problem des Systems. Hier liegt der Bedarf noch eine Stufe zuvor. Es existiert kein wirklicher integrierter Patientenpfad. Das ist derzeit keine technologische, sondern politische und akteursbezogene Herausforderung.
Patientinnen und Patienten wollen gut behandelt werden und einen guten Service erhalten. Es wird sich aber auch stark darauf verlassen, was die Akteurinnen und Akteure mitteilen. Wenn diese nicht integriert sind und klare Botschaften vermitteln, wird es schwierig. Es ist unklar, ob hier einzelne Patientinnen oder Patienten mit ihren Beschwerden etwas erreichen würden. Nur der Druck der Patientinnen und Patienten wird nicht ausreichen, damit sich grundlegend etwas verändert. Die Anreizsysteme sind zudem so ausgelegt, dass für die Geschehnisse im Haus belohnt wird. Nach der Entlassung der Patientinnen und Patienten verliert die Akteurin oder der Akteur den Anreiz. Die Incentivierung des Systems ist hier das Problem und muss verändert werden.
Als aller erstes müssen die Prozesse in Ordnung sein, bevor über Technologie gesprochen werden kann. Der Wandel gelingt in vier Schritten. Es wird zunächst eine integrierte Strategie benötigt. Das heisst, eine Zielvision muss vorhanden sein und Vorbereitungen für den Wandel müssen getroffen werden. Als zweites bedarf es einer strukturellen Veränderung in der Organisation. Die Digitalisierung muss im Unternehmen fest verankert werden. Es braucht klare Strukturen und eine Person, die sich bewusst mit diesem Thema beschäftigt. Mit der Strategie und der Struktur können dann die technologischen Grundlagen gelegt werden. Sowohl Hard- und Software wie auch Stammdaten gehören hierbei zu den Grundlagen. Wichtig ist zudem das Bewusstsein, dass Digitalisierung eine lange Reise ist. Als viertes empfiehlt sich daher, ständig daran zu arbeiten und kontinuierlich an das Thema heranzugehen. Es nutzt nichts, auf die perfekte Lösung zu warten, da diese nie kommen wird.
Wie bei allen Veränderungen ist das Thema Kultur entscheidend. „Culture eats strategy for breakfast.“ Das heisst, die beste Strategie hilft nichts, insofern keine Kultur des Wandels erzeugt wird. Die wichtigste Frage für Veränderungen ist das «Why?». Warum soll sich das Unternehmen überhaupt verändern? Wenn die Mitarbeitenden nicht bereit sind, sich zu verändern, wird der Wandel nicht gelingen.
Die Veränderung muss von oben kommen, ein Gesicht erhalten, als strategische Entscheidung kommuniziert werden und das Commitment für die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen erhalten. Es gilt, ständig an dieser Kultur zu arbeiten. Kulturveränderung findet über Jahrzehnte statt.
Hierzu gibt es drei Sachen zu nennen. Als erstes sind Worte ohne Taten folgen zu lassen ein No-Go. Hierdurch werden die Leute «verbrannt». Das zweite ist der grosse Klassiker, Mitarbeitende und Patientinnen sowie Patienten nicht einzubeziehen. Es muss ein Verständnis erzeugt werden, welche Nöte und Probleme Mitarbeitende und Patientinnen sowie Patienten haben, um diese zu lösen. Als drittes ist das passive Abwarten zu nennen. Die Haltung, dass andere zunächst ausprobieren sollen und dabei eventuell scheitern, ist nicht angebracht. Es müssen erst im eigenen Haus Erfahrungen gesammelt werden. Diese können aus zunächst kleinen Veränderungen stammen.
Natürlich ist diese Aussage provokativ. Die Antwort war bereits klar. Es handelt sich zumindest in der Schweiz um eine Evolution und keine Revolution. Die These ist: «Veränderung entsteht nur dort, wo Druck ist.» In der Schweiz ist der Druck hoch, aber noch lange nicht so hoch wie er sein könnte. In der derzeitigen Situation werden kleine Schritte nach vorne gemacht. Es sollte aber darauf geachtet werden, dass die Schritte nicht zu klein sind, ansonsten wird die Schweiz nicht von Platz 14 wegkommen.