In dieser Folge ist Alfred Angerer wieder im Gespräch mit dem Digital Manager Stefan Lienhard. Zu Gast ist Anita Zwahlen, eine Sportphysiotherapeutin der Schulthess Klinik. In ihrem Beruf hat sie sich auf die Behandlung von LeistungssportlerInnen spezialisiert. Im gemeinsamen Gespräch berichtet sie neben vielen anderen Themen wie die Digitalisierung ihren Berufsalltag erleichtert und sie stellen sich die Frage, ob die PhysiotherapeutInnen durch digitale Werkzeuge komplett ersetzt werden können.
Fragen und Antworten
Anita Zwahlen stellt sich als stellvertretende Teamleitung der Sportphysiotherapie in der Schulthess Klinik vor. Neben Ihrer Tätigkeit in der Schulthess Klinik ist sie auch als externe Betreuerin von Sportlerinnen und Sportlern bei Teamanlässen und Trainingslagern o.ä. tätig. Darüber hinaus ist Anita Zwahlen ehrenamtliches Vorstandsmitglied des Schweizer-Verbandes für Sportphysiotherapie. Weiterhin hat sie einen MAS in Managed Healthcare am WIG der ZHAW begonnen.
Die Abteilung der Sportphysiotherapie in der Schulthess Klinik (SK) arbeitet nur im ambulanten Bereich. Genau wie Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten (PTs) arbeiten Sportphysiotherapeutinnen und Sportphysiotherapeuten (SPTs) im Halbstunden-, aber auch im Stundentakt.
SPTs orientieren sich bei ihrer täglichen Arbeit v.a. an der Wissenschaft der Trainingslehre. SPTs analysieren die jeweilige Sportart der Kundschaft, brechen diese auf Einzel- und Kernelemente herunter und versuchen die Funktionalität bei den Individuen wiederherzustellen und zu optimieren. Anita Zwahlen berichtet darüber, dass Bewegungsanalysen oft über YouTube angestellt werden, da hier viel Videomaterial besteht. Insbesondere die Vielfalt an Sportarten, welche, die Kundschaft mit sich bringt, macht die Arbeit interessant.
SPTs trainieren auch Spitzensportlerinnen und -sportler, welche auf einem viel höherem Leistungsniveau arbeiten, als es die SPTs selber sind.
Anita Zwahlen berichtet darüber, dass die Bandbreite der Patientenschaft extrem variiert. Das Spektrum reicht dabei von Profisportlerinnen und -sportlern bis hin zu Leistungssportlerinnen und -sportlern, die den Sport neben dem normalen Beruf betreiben und zu Hobbysportlerinnen und -sportlern, die ein gesteigertes Interesse am Sport besitzen. Alle haben jedoch dasselbe Interesse, dass die SPT einen Wiedereinstieg in die sportliche Aktivität ermöglichen soll.
Wider Erwarten wurden in der Abteilung von Anita Zwahlen digitale Therapiestunden durch das online Tool Physitrack® durchgeführt. Anita Zwahlen berichtet von der eigenen Skepsis gegenüber Onlinetools und der persönlichen Einstellung, dass PTs immer vor Ort an der Person benötigt werden.
Die Schulthess Klinik hat der SPT-Abteilung schnell ermöglicht ein Onlinetool für die täglichen Arbeiten einzusetzen. Die Kundinnen und Kunden bekommen über dieses einen eigenen Trainingsplan für zuhause aufgestellt. Direkt im Tool werden Trainingsübungen per online-Videos erklärt. Darüber hinaus gibt es eine direkte Nachrichtenbox, um Feedback der Kundinnen und Kunden hinsichtlich Beschwerden o.ä. zu erhalten.
Anita Zwahlen erachtet das Tool Physitrack® als praktikabel, auch im Umgang mit Personen, «denen die Digitalisierung nicht in die Wiege gelegt worden ist». Hierbei verweist sie auf einen 75-Jährigen Kunden, der das Tool in seiner Therapie problemlos nutzt.
Stefan Lienhard erachtet, dass v.a. die einfache Handhabung von Online Tools einen
Anita Zwahlen berichtet darüber, dass die Digitalisierung für sie mittlerweile ein grosses Thema im Berufsalltag darstellt.
Aktuell ist die Digitalisierung in Ihrem Arbeitsbereich kaum mehr wegzudenken. Bereits seit zwei Jahren werden bspw. Befunde nur noch digital verarbeitet und gespeichert. Die Digitalisierung erspart ihrer Meinung nach viel Arbeit und sorgt für Effizienz.
Die Sportphysiotherapeutin berichtet dennoch über die Gefahr, dass zu viele Gadgets zu viel Zeit in Anspruch nehmen können, wodurch die Patientinnen und Patienten weniger Zeit gewidmet bekommen.
Unter einem Gadget versteht Ania Zwahlen insbesondere Tools, die Daten erheben und den Patientinnen und Patienten ein Feedback zur Leistung und ggf. der Entwicklung geben können. Auch nennt sie klar den Motivationsfaktor, der mit spielerischen und visuellen Elementen von Gadgets einhergeht. Als Praxisbeispiel nennt sie das Fitlight, welches zum Training der Reaktionsgeschwindigkeit der Patientinnen und Patienten genutzt wird.
In Anita Zwahlens eigener Ausbildung - vor 13 Jahren - gab es kaum digitale Medien in der Lehre. Der Grossteil lief demnach analog ab.
Sie berichtet jedoch darüber, dass ein angehender Physiotherapeut nun vereinzelt digitale Lehrveranstaltungen besucht. Corona nötigt aktuell auch Universitäten dazu online Unterricht zu nutzen. In Hands on Berufen kann es ihrer Meinung nach jedoch z.T. problematischer sein auf digitalen Unterricht umzuschwenken.
Auch Alfred Angerer berichtet von den eigenen Erfahrungen aus dem Lehrbetrieb an der ZHAW. Teilweise wird Druck von aussen benötigt, um Veränderungen zu bewirken.
Chancen:
Anita Zwahlen ist grundlegend begeistert von der Digitalisierung und den Nutzenpotentialen. Die Digitalisierung kann zu einer Erleichterung von Arbeitsprozessen führen und Ressourcen einer Klinik näher zusammenbringen. Sie verspürt eine Steigerung der Wertschöpfung, da z.B. mehr Informationen über die Patientinnen und Patienten vorliegen und somit eine bessere Zusammenarbeit möglich wird.
Risiken:
Gerade in der SPT werden individuell auf die Einzelperson abgestimmte Programme benötigt. Kein Therapieverlauf ist identisch und entspricht einem anderen. Viele Kundinnen und Kunden denken jedoch, dass ein Krankheitsbild verallgemeinert immer nach einem Schema behandelt werden kann.
Apps müssen einfach, praktikabel und insbesondere in einem zeitlich limitierten Behandlungsrahmen zeitlich effizient sein. Anbietende von digitalen Lösungen überschätzen hier oftmals die zeitlichen Ressourcen der potentiellen Kundschaft in der Anwendung
Alfred Angerer verweist auf den Input der vierte Podcastfolge „Leiden von Digital Health Startups“ und untermauert die ausschlaggebende Rolle der Praktikabilität und Nutzerfreundlichkeit von Apps, die die potentiellen Käufer von Digital Health Lösungen erfahren sollten. Digitale Lösungen sollten den Arbeitsalltag erleichtern und diesen nicht verkomplizieren.
Anita Zwahlen und Stefan Lienhard berichten davon, dass ihnen persönlich aktuell keine Vorreiter bzw. Best-Practices in der SPT bzw. PT bekannt sind.
Physitrack® wurde schon vor Coronapandemie v.a. von der Fachgruppe „Unteren-Extremitäten“ in der Schulthess Klinik genutzt. Zu Beginn der Pandemie hat Anita Zwahlen Stefan Lienhard bezüglich Lizenz und Nutzung in SPT-Team kontaktiert. Innerhalb eines Tages war die Lizenz und das Programm letztendlich nutzbar.
Anita Zwahlen berichtet, darüber, dass Sie das Tool auch nach der Pandemie weiterhin nutzen wird, da es ihren Berufsalltag spürbar erleichtert.
Stefan Lienhard berichtet darüber, dass im Jahr vor der Coronapandemie ein erstmaliges Pilotprojekt mit Physitrack® in der Schulthess Klinik gestartet wurde. In Drucksituationen, wie z.B. der Pandemie muss schnell gehandelt werden, wodurch eine gewisse Risikobereitschaft von Nöten ist. Stefan Lienhard verweist hier auf das das 80:20 Prinzip: Bei einem neuen Piloten/Produkt muss nicht von vorneherein jeder Prozess perfekt laufen. Probleme dürfen sein und führen zu Optimierungsschleifen.
Physitrack® ist laut Stefan Lienhard ein top Beispiel hinsichtlich der notgedrungenen Einführung, die jedoch eine nachhaltige Nutzung mit sich bringt. Digitale Lösungen sollten auf diese Nachhaltigkeit überprüft werden.
Stefan Lienhard berichtet darüber, dass Physitrack® vor der Einführung in der Schulthess Klinik kein No-Name-Produkt war, da es bereits weltweit genutzt wurde. Dementsprechend gab es zu dem Zeitpunkt eine Vielzahl an Referenzen.
Er persönlich ist unsicher, wie es mit der Implementation in der Schulthess Klinik gelaufen wäre, wenn wenige oder keine Referenzen vorhanden gewesen wären. Das Vorliegen von Referenzen hat die Entscheidungsfindung jedoch definitiv erleichtert.
Der direkte Austausch mit anderen PTs und das Ausprobieren haben Anita Zwahlen von Physitrack® überzeugt.
Stefan Lienhard berichtet davon, dass es keine offizielle Einführung/Schulung der Therapeutinnen und Therapeuten für das Programm von Physitrack® gab. Die Therapeutinnen und Therapeuten in der Schulthess Klinik erhielten einen Zugang zum Programm und mussten selber testen, ob und inwiefern ihnen dieses Programm zusagt. Diese Vorgehensweise der Implementation ist jedoch nicht mit jeder Personengruppe durchführbar. Die Usability einer digitalen Lösung stellt einen ausschlaggebenden KPI dar. Auch Anita Zwahlen bestätigt diese Aussage.
Alfred Angerer fasst zusammen, dass Mund zu Mund Propaganda und die Erfahrungen bei der ersten Selbstnutzung ausschlaggebende Faktoren für die weitere Nutzung von digitalen Lösungen sind.
Anita Zwahlen wird nur selten von ihrer Kundschaft auf die Seriosität von Fitnessapps angesprochen. Sie berichtet jedoch von einem Negativbeispiel einer Kundin, die aufgrund einer solchen App körperliche Beschwerden bekam. Anita Zwahlens Meinung nach liefern Apps gute Inspirationen, jedoch fehlt oftmals das Feedback zur Ausführung und Dosierung der Übungen. Meistens berücksichtigen diese Apps weder die Quantität noch die Qualität der Übungsausführung. Dadurch gehen wichtige Informationen verloren, welche z.B. Aufschluss über die nötige Progression geben können.
Alfred Angerer nennt die These, dass Gesundheitsexpertinnen und -experten in Zukunft nicht durch digitale Lösungen ersetzt werden. Vielmehr sollten diese als sinnvolle Unterstützung genutzt und durch die Expertinnen und Experten gesteuert und kontrolliert werden. Digitale Lösungen besitzen viel Potential zur Entlastung und zur Unterstützung von Berufsgruppen.
Stefan Lienhard berichtet davon, dass die Digitalisierung von vielen Personen mit dem Jobverlust in Verbindung gebracht wird. Die Digitalisierung kann hingegen auch neue Berufe schaffen.
Hier berichtet Stefan Lienhard von einem fiktiven Vorstellung, dass in einigen Jahren bspw. ein sog. E-Coach denkbar wäre, der die gesammelten Daten von digitalen Lösungen auswertet und diese in die individuelle Therapie der Patientinnen und Patienten einfliessen lässt.
Anita Zwahlens Meinung nach sind die zwischenmenschlichen Faktoren zwischen Patientinnen und Patienten und Therapeutinnen und Therapeuten extrem ausschlaggebend. Durch diese Faktoren können die Motivation und der Therapieverlauf und -outcome massiv beeinflusst werden. Alle Informationen, die aus den persönlichen Gesprächen gewonnen werden, fliessen mit in die Therapie ein und führen im Gesamtbild zum Erfolg. Die reine Digitalisierung würde zum Verlust des Zwischenmenschlichen führen.
Stefan Lienhard bekräftigt, dass digitale Lösungen als Unterstützung und nicht als Ersatz der Therapeutinnen und Therapeuten zu verstehen sind. Den Menschen zu ersetzen sollte nicht das Ziel sein. Auch er ist der Auffassung, dass insbesondere mentale Faktoren eine wichtige Rolle in der Therapie spielen. Diese Faktoren können v.a. durch den zwischenmenschlichen Kontakt und nicht durch eine rein digitale Anwendung herausgearbeitet werden.
Stefan Lienhard berichtet darüber, dass er häufig einen hohen Spassfaktor bei der Arbeit in der SPT wahrnimmt.
Anita Zwahlen berichtet, dass in der Schulthess Klinik ein explizites Trainingsgerät mit Gamification-Charakter existiert. Genutzt wird diese jedoch eher weniger, da die Nutzung sehr zeitaufwändig ist. Von Plug and Play kann in diesem Fall nicht gesprochen werden.
Bei Leistungssportlerinnen und -sportlern, die eine Spitzentherapie erhalten, kann jedoch auf das genannte Trainingsgerät ausgewichen werden. Ausschlaggeben ist hier, dass Spitzensportlerinnen und -sportler in der Therapie häufig mehrere Stunden am Tag in der Klinik verbringen und somit mehr Abwechslung geboten bekommen sollen. Patientinnen und Patienten, die die übliche Standardtherapie durchlaufen, kommen nur selten in Kontakt mit gamifizierten Trainingsgeräten, da schon wenig Zeit zur Verfügung steht
Stefan Lienhard thematisiert hier, dass Plug and Play neben der Nutzerfreundlichkeit eine enorme Rolle spielt.
Anita Zwahlen ist der Ansicht, dass der Schwerpunkt in der Zukunft insbesondere auf der Optimierung von Physitrack® liegt. Auf diesem Wege soll das Personal noch stärker entlastet werden.
Stefan Lienhard bestätigt die Aussage von Anita Zwahlen.
Auch erachtet er es als relevant die weiteren Entwicklungen auf dem Digital Health Markt zu beobachten.
Darüber hinaus wird in Zukunft sicherlich eine Prüfung erfolgen, inwiefern Physitrack® an das KIS der Schulthess Klinik angebunden werden kann.
Auch sollte in Zukunft überprüft werden, wie die Appnutzung durch den Patienten nach dem bestehenden TARMED-Tarifsystem vergütet werden kann.
Anita Zwahlen ist der Meinung, dass es derzeit noch keine Bereiche in der SPT gibt, die komplett durch die Maschine ersetzt werden können. Auch in Zukunft kann sie sich dies nicht vorstellen. Dennoch ist sie gespannt, ob sie diese Aussage rückblickend in 20 bis 30 Jahren komplett anders bewerten würde.
Anita Zwahlen erachtet die Spracherkennung bei der Patientendokumentation als äusserst hilfreich und entlastend.
Anita Zwahlen ist der Meinung, dass die Digitalisierung in den nächsten fünf Jahren enorme Fortschritte und Veränderungen bewirken wird und nicht mehr wegzudenken ist.
Sie hat den Wunsch, dass die Anbietenden von digitalen Lösungen die potentielle Kundschaft bei der Entwicklung neuer Lösungen/Ideen/Tools miteinbeziehen, um von vorneherein nutzerfreundliche und praktikable Lösungen zu entwickeln.
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