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Christian Baum – Mit Kaizen zur Veränderung in kleinen Schritten, die Grosses bewirken

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Der zweite Lean-Experte, welcher heute zu Gast in der Podcast Reihe «Lean Healthcare mit Alfred und Patrick» ist, ist Christian Baum, der Leiter für Prozesse und Qualität im Spitalzentrum Biel AG. Hier profitiert er als Lean-Manager unter anderem von seiner langjährigen Erfahrung bei der SBB, bei der er feststellte, dass es die kleinen Veränderungen sind, welche das Grosse nachhaltig und entscheidend beeinflussen sowie von seiner Arbeit mit Japanern, den Gründungsvätern von Lean, welche ihm die Lean- und Kaizen Philosophie noch einmal aus einer anderen Perspektive eröffnet haben. Für Christian Baum gilt dabei folgender Grundsatz: Für gute Resultate braucht es gute Prozesse. Für gute Prozesse braucht es wiederum gute Mitarbeitende und für diese wiederum gute Vorgesetzte. Vorgesetzte entwickeln demnach ihre Mitarbeitenden und nicht die Prozesse.

Der Lean-Experte berichtet dabei von seinem ganz persönlichen Lieblingstool – dem Kaizenboard, welches als gutes Hilfsmittel zum Ideenmanagement für Prozessverbesserungen eingesetzt werden kann und sollte, um eben diesen Grundsatz zu realisieren.

Hören Sie in diese Podcast-Episode und erfahren Sie, wie das Spitalzentrum Biel AG Lean und Kaizen in der täglichen Praxis einsetzt, um wertstrom- und prozessorientiert zu arbeiten und die Versorgung des Patienten entlang des Patientenpfades zu optimieren. 

Und werfen Sie ein Blick in diese Lieblings-Lean-Bücher von Christian Baum: «Die angstfreie Organisation» (2020) von Amy C. Edmondson und «Toyotas Geheimrezepte für die Problemlösung» (2019) von Prof. Dr. Constantin May.
Auch diese Inputs könnten für Sie interessant sein:  «Das Ziel – Ein Roman über Prozessoptimierung» (2013) von Eliyahu M. Goldratt und Jeff Cox sowie die Publikation «Lean Management – Eine Quantifizierung des Nutzens» (2017) von Gutzeit und Kollegen.

Fragen und Antworten

Christian Baum ist der Leiter für Prozesse und Qualität im Spitalzentrum Biel AG. Dort ist er als interner Lean Manager tätig.

Anhand eines Beispiels aus der eigenen Familie zeigt Christian Baum auf, dass er die Methode der Visualisierung auch in seinem Privatleben nutzt.

Christian Baum war vor Jahren als studierter Betriebsökonom bei der SBB angestellt und kam im Jahr 2004 in Kontakt mit der Qualitätsoffensive Six Sigma. Ziel war hier die Pünktlichkeit bzw. die technische Verfügbarkeit der SBB-Fahrzeuge zu steigern. Dabei ist Christian Baum oftmals aufgefallen, dass nicht die Grossen Projekte, sondern kleine Veränderungen der Mitarbeitenden zu entscheidenden Effekten geführt haben. Auf diesem Wege ist Christian Baum auf den kontinuierlichen Veränderungsprozess durch Kaizen bzw. Lean aufmerksam geworden und übernahm im Anschluss in den Reihen der SBB die Verantwortung für sämtliche Veränderungsprozesse nach Lean und Kaizen.

Christian Baum hatte während seiner Zeit als Lean Manager bei der SBB häufig Kontakt zu externen Beratern, die das Gesundheitswesen als eher optimierungsbedürftig beschrieben. Durch Zufall konnte Christian Baum anschliessend im Spitalzentrum Biel eine Tätigkeit als Lean Manager aufnehmen.

Für Christian Baum gilt beim Thema Kaizen folgender Grundsatz: Für gute Resultate braucht es gute Prozesse. Für gute Prozesse braucht es wiederum gute Mitarbeitende und für diese wiederum gute Vorgesetzte. Vorgesetzte entwickeln demnach ihre Mitarbeitenden und nicht die Prozesse. Die Mitarbeitenden sind schlussendlich für die Entwicklung und Veränderung der Prozesse zuständig. Dabei kommt den Vorgesetzten die tragende Aufgabe zu, den Mitarbeitenden ein Verständnis und eine Überzeugung hinsichtlich des eigenen Unternehmenssinns zu vermitteln.

Christian Baum erzählt zudem eine Anekdote aus seiner eigenen Arbeitserfahrung bei einem Kaizen-Workshop. Hier kommt er zu dem Entschluss, dass der erste Teil der Kaizen Philosophie ist, mit dem Klagen aufzuhören und aufkommende Herausforderungen mit Mut und Kreativität anzunehmen. Man soll nicht bloss sich und die Unternehmung bewegen, sondern beginnen in einem System zu arbeiten.

Während des Workshops wurde Christian Baum zudem über die drei Kernelemente von nachhaltigen Verbesserungen informiert, welche der Critical Chain Theorie nach Goldratt entsprechen:

  1. Durchlaufzeit
  2. Lagerumschlag
  3. Produktivität

Führungskräfte sollten ihren Fokus auf die Führung von Menschen, also auf z.B. die Zusammenarbeit und die Entwicklung von Menschen legen. Christian Baum zeigt an dieser Stelle seine Begeisterung ggü. Kaizen, da hier Verbesserungen durch die aktive Integration von Mitarbeitenden in den Verbesserungsprozess initiiert werden. Dabei erzählt er eine Geschichte aus der Vergangenheit, bei der es um die Zusammenarbeit eines Mitarbeiters und der Führungskraft, aber auch die Rolle der Führungskraft geht. Christian Baum geht persönlich nach dem folgenden Grundsatz bei Veränderungsprozessen vor:

„Nur wer Stärken anerkennt kann Schwächen korrigieren“. Durch diesen Grundsatz soll der Fokus nicht ausschliesslich auf die negativen Seiten der Ausgangslage gelegt werden.

Das Gesundheitswesen ist in seinen Augen eine dankbare Branche hinsichtlich Optimierungen, da der Leistungsdruck in den vergangenen Jahren enorm zugenommen hat.
Christian Baum berichtet davon, dass grundsätzlich fast alle Berufsgruppen im Gesundheitswesen bei solchen Veränderungsprozessen mitziehen. Dies steht der häufig genannten These gegenüber, dass die Ärzteschaft nicht veränderungsfreudig sei. Christian Baums Auffassung nach ist die Herangehensweise entscheidend, dass auch die Ärzteschaft veränderungsbereit ist.

Auch der Ärzteschaft muss der dahinterstehende Sinn und Nutzen von Veränderungsprozessen, z.B. durch die daraus resultierende Arbeitsentlastung in der Administration o.ä. aufgezeigt werden. Christian Baum berichtet dabei von der generellen Schwierigkeit, dass die Mitarbeitenden, ungeachtet ihrer Berufsgruppe, den Veränderungsprozess selber in die Hand nehmen müssen und die Verantwortung nicht an eine Stabstelle, wie z.B. ihn selber, als Lean Manager, abgeben.

Christian Baum erachtet gewisse Instrumente/ Werkzeuge als nötig, um aus üblichen Denk- und Gefühlsgewohnheiten neue Verhaltensgewohnheiten zu machen. Dabei kommt er auf sein ganz persönliches Lieblingstool, das Kaizenboard zu spreche. Dieses kann als gutes Hilfsmittel zum Ideenmanagement für Prozessverbesserungen eingesetzt werden. Er kommt jedoch auch die Kontraseite des Kaizenboards zu sprechen, dass Verbesserungsmöglichkeiten - im Sinne eines Kummerkastens - genannt werden, welche mit der Unternehmung per se nur noch wenig zutun haben.  Alfred Angerer zitiert an dieser Stelle Katharina Rüther-Wolf bzgl. des Kaizen-Kummerkastens mit dem plakativen Beispiel des «dritten Grill im Garten. Zwei Grills reichen nicht, wir benötigen noch einen Dritten.»

Ein Kaizenboard ist ein Board zur Sammlung von Optimierungspotentialen und Massnahmenvorschlägen. Diese Massnahmenvorschläge werden nach dem PDCA-Zyklus des Verbesserungsprozesses kategorisiert. Es ist hervorzuheben, dass ein Kaizenboard nicht als Kummerkasten dient, d.h. jedes Verbesserungspotential sollte mit einem dazugehörigen Massnahmenvorschlag verknüpft sein. Im Spitalzentrum Biel AG befinden sich die Kaizenboards in den Hinterräumen der Mitarbeitenden. Dies hat den Vorteil, dass eher heikle Themen nicht von Besuchenden und der Patientenschaft einzusehen sind. Christian Baum berichtet zudem davon, dass in einer Station im Spitalzentrum Biel AG sowohl Huddle- als auch Kaizenboards sehr öffentlich auf den Gängen ausgehängt sind.

Christian Baum beschreibt den typischen Kaizenprozess folgendermassen:

  1. Identifikation des Problems
  2. Problem notieren und mit Lösungsvorschlag an das Board anbringen
  3. Führungskraft nimmt Rücksprache zur Klärung mit dem/den Mitarbeitenden auf
  4. Prüfung des Lösungsvorschlages auf Umsetzbarkeit
  5. Umsetzung (wenn möglich)

Der Prozess kann dabei im Team, oder auch bilateral zwischen den Mitarbeitenden und der Führungskraft durchlaufen werden. Christian Baum ist zudem der Auffassung, dass Kaizenboards nur grob standardisiert werden sollten, um darüber hinaus individuellen Spielraum für die Mitarbeitenden zu ermöglichen.

Auch beschreibt er Kaizen als Denkweise, zu der die Mitarbeitenden nicht gezwungen werden können. Er plädiert hier auf den Ansatz der Freiwilligkeit. Die Anzahl von Ideen und Lösungsvorschlägen sollte nicht unbedingt als Kennzahl im Kaizen angesehen werden, da v.a. die Qualität und die Umsetzbarkeit von Relevanz sind. Einen Zwang zur Unterbreitung von Vorschlägen sieht Christian Baum nur als akzeptabel an, wenn Führungskräfte klare Problemstellungen und Optimierungspotentiale vorgeben.

Christian Baum nimmt diesbezüglich eine neutrale Haltung ein. Er befindet einige digitale Lösungen für gut, findet jedoch, dass insbesondere die analoge Variante von dem Aspekt der Visualisierung profitiert.

Im Spitalzentrum Biel AG wird der Kaizenprozess meistens durch die entsprechende Stationsleitungen moderiert. Christian Baum könnte sich jedoch auch vorstellen, dass Mitarbeitende, welche ein hohes Potential besitzen und ggf. auch zu zukünftigen Führungskräften herangezogen werden könnten, die Verantwortung für den Kaizenprozess übernehmen könnten.

Christian Baum lehnt die Belohnung Einzelner für das Anbringen von Ideen ab, um keine falschen Anreize in Form von extrinsischer Motivation zu schaffen. Er ist der Meinung, dass höchstens Teams belohnt werden sollten. Auch im Spitalzentrum Biel AG wird dieser Ansatz verfolgt, wobei Teams, die patientenorientiert Verbesserungen umsetzen, mit monetären Zuschüssen für Teamanlässe belohnt werden.

 

 

 

Christian Baum nennt, dass Führungskräfte dafür verantwortlich sind diesen Prozess aufrecht zu erhalten. Zudem sieht er es als nahezu unmöglich an, dass Führungskräfte im Gesundheitswesen keine Probleme bzw. Optimierungspotentiale mehr vor sich haben. Es wird ein Mindset der Awareness für zukünftig relevante, aber aktuell noch unbekannte Probleme benötigt.

Christian Baum gibt an, dass umgesetzte Veränderungsprozesse aktuell nicht in seinem Unternehmen hinsichtlich des Erfolges bewertet werden. Er stellt die Hypothese in den Raum, dass mit steigender Problemdefinition bessere Lösungen erarbeitet und somit auch der effektive Effekt errechnet werden kann. Alfred Angerer berichtet zudem von einem Versuch in der Hirslanden Klinik, bei dem die Qualität von Veränderungsprozessen herausgestellt werden sollte.

Christian Baum findet diese Frage aufgrund seiner direkten Integration sehr schwer zu beurteilen. Er sieht das Lean Management und Kaizen in seinem Unternehmen als weiterlaufende Reise an und ist der Auffassung, dass die «Lean-Welle» noch bevorsteht».

Christian Baum glaubt, dass zukünftig in Spitälern horizontale Beziehungen wichtiger werden als vertikale Beziehungen. Dies soll bedeuten, dass die Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen, die als nächstes im Prozess folgen, wichtiger werden, als die Beziehung zu den Vorgesetzten. Aktuell ist die Denkweise meist so, dass Angestellte den Vorgesetzten gefallen wollen. Bei einer Denkweise nach Lean wird jedoch entlang des Wertstroms gedacht, wodurch die im Prozess nachfolgenden Personen als Kundinnen und Kunden angesehen werden können. Insbesondere im Gesundheitswesen kann dies dazu führen, dass die Patientenpfade verbessert und optimiert wird.

Christian Baum behauptet zudem, dass die Automatisierung in den nächsten Jahren eine grosse Herausforderung darstellen wird. Hierbei bringt er an, dass v.a. Robotik und künstliche Intelligenz zu einer Veränderung der Berufsbilder führen werden. Saubere Prozesse und Patientenpfade stellen diesbezüglich jedoch einen Erfolgsgarant dar.

Buchtipps von Christian Baum sind:

  1. «Die angstfreie Organisation» (2020) von Amy C. Edmondson
  2. «Toyotas Geheimrezepte für die Mitarbeiterentwicklung» (2019) von Prof. Dr. Constantin May.

 

Christian Baum erhofft sich, dass man im Gesundheitswesen zu Iteration durch viele, statt durch Reorganisation von wenigen kommt. Auf diese Weise wird schlussendlich Kaizen umgesetzt.

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