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Sven Beichler – Wie die App TOM die Therapietreue der UserInnen steigert

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Eine der grossen Veränderungen im Gesundheitswesen durch Digitalisierung verbirgt sich gemäss Alfred Angerer hinter dem Thema Patient-Empowerment. Hier kann Digital Health ansetzen, um PatientInnen von daheim zu unterstützen: in der Beschaffung von Informationen, in der Prävention, aber auch in der Therapie.
Eine spannende Lösung im Bereich Medikamentenmanagement hat Alfreds heutiger Gast Sven Beichler mitgebracht. Der erfolgreiche Entrepreneur von insgesamt 6 Startups stellt in dieser Podcast Episode seine neueste Firma «Innovation 6 AG» und seine App TOM dar und erläutert, wie er vom Gründer einer Schokoladenfabrik und vieler anderer Startups im Bereich der Digitalisierung vor 2 Jahren in das Gesundheitswesen eingestiegen ist.
Damals bewegte ihn ein persönlicher Zwischenfall durch seine eigene Therapieuntreue dazu, sich näher mit dem Thema Medikamentenmanagement auseinanderzusetzen. Dabei erschloss sich im, dass der Markt chronisch erkrankter Menschen in der Schweiz ein riesiger ist und dass die Therapieuntreue von chronisch Erkrankten zu unglaublichen Mehrkosten im Gesundheitsbereich und zu einer Vielzahl von Folgeerkrankungen führt. Nur gab es zu dieser Zeit keine intuitive, digitale Lösung, um diesem Problem möglichst breit und für jedermann zu begegnen. Genau hier setzt die TOM-App an und unterstützt die UserInnen bei der Medikamenteneinnahme.

Hören Sie in diesen Podcast, um noch mehr über die Entwicklung, Funktionen und den Nutzen dieser App zu erfahren und darüber, was noch die weiteren Pläne für TOM sind, um die UserInnen bestmöglich zu unterstützen.

Fragen und Antworten

Es handelt sich um das sechste Start-up, aus diesem Grund kam es zum Namen Innovation 6 AG. Zum Zeitpunkt der Entstehung des Unternehmens war noch nicht klar, in welche Richtung sich die App entwickelt. Aus diesem Grund wurde kein konkreterer Name vergeben.

Es waren immer Themen, die einen selbst betroffen haben. Das erste Start-up war die Job- und Recruitment-Plattform mit Namen Contect Network for Success (CNS) für Studentinnen und Studenten. Anschliessend wurde es ein Cateringbetrieb in Zusammenhang mit digitalen Lösungen für die Produktion frischer Snacks. Weiter ging es mit dem Start-up Fresskreis und der Idee Lieferungen für Mitarbeitende zusammenzulegen, um Lieferkosten zu sparen. Dies lief zu Beginn gut, jedoch bildeten sich dann von Fresskreis unabhängige Bestellgemeinschaften, die das Unternehmen obsolet gemacht haben.  Dann kam die Schokoladenfabrik. Trotz erster Schwierigkeiten bei der Herstellung wurde die Firma ein Erfolg. Die Arbeitsstationen waren mobil gestaltet und somit standortunabhängig einsetzbar.

Es waren immer Probleme, die einen persönlich betroffen haben. Sven Beichler muss selbst täglich Medikamente einnehmen. Seine Therapietreue war jedoch nicht immer gegeben, weswegen es zu einem medizinischen Zwischenfall kam. Für ihn war zu diesem Zeitpunkt nicht klar, wie wichtig die regelmässige Einnahme der Medikation war. Eine Marktrecherche zu diesem Problem zeigte, dass nur sehr veraltete Anbieter im Markt sind. Erste Recherchen und Interviews folgten.

Nein es ging darum, die Idee zu verifizieren. Eine Marktabklärung war noch nicht Teil davon. Zunächst war es relevant die Umsetzbarkeit zu klären. Hierzu bedurfte es beispielsweise bereits bei den Begrifflichkeiten des Gesundheitswesens mehr Hilfe als zunächst erwartet.

Die heutige Version stellt nicht die ursprüngliche Idee dar. Zu Beginn war die Idee ebenfalls Heimtests zu machen. Aus diesem Grund wurden viele Gespräche mit Laboren geführt. Es ging zudem um das Verständnis der Ergebnisse solcher Tests.

Der Auslöser für die heutige Idee hinter TOM war ein Artikel der Neuen Zürcher Zeitung, der Zahlen zu chronischen Krankheiten in der Schweiz nannte. Im Artikel wurden die Kostenunterschiede zwischen therapietreuen chronisch erkrankten Personen (CHF 13'000 pro Jahr) und nicht-therapietreuen chronisch erkrankten Personen (CHF 52'000 pro Jahr) erläutert. Hochgerechnet entspräche dies ca. 40% der gesamten Gesundheitskosten für nicht-therapietreue chronisch erkrankte Personen. Diese Feststellungen wurden im Rahmen der Interviews bestätigt. Eine Lösung für dieses Problem war jedoch noch nicht vorhanden.

Im komplexen Feld der chronischen Krankheiten gibt es zudem eine Vielzahl an Use Cases und Gründen für die Therapietreue oder nicht vorhandene Therapietreue. Die App sollte aus diesem Grund sehr breit aufgestellt sein, sich aber auf das allgemeine Medikamentenmanagement beschränken. Auf diese Weise kann die App ebenfalls von Personen genutzt werden, die ohne chronische Krankheit täglich Medikamente einnehmen müssen. TOM soll möglichst viele kleine Values für Userinnen und User bieten, um möglichst viele verschiedene Use Cases abzubilden. Der Prototyp basierte auf einem Chat-Bot Prinzip zur Wegleitung der Userinnen und User bei der initialen Einrichtung. Dies erhöhte bereits die Conversion-Rate. In diesem Fall also die Rate der Personen, die die App herunterladen sowie installieren und schlussendlich auch einrichten.

Diese Erkenntnis wurde durch vielfältiges Testen gewonnen. Zu Beginn steht ein gewisses Fachwissen, später geht es darum, Feedback von vielen verschiedenen Partnern einzuholen. Das Feedback sollte möglichst aus der realen Welt stammen und nicht nur aus den «geschlossenen Räumen» einer Studie. Zu diesem Zeitpunkt bot die App lediglich die Erfassung, den digitale Medikamentenschrank sowie eine simple Erinnerung.

Im Rahmen einer kleinen Facebook-Kampagne wurde analysiert, wie viele Downloads die App erzeugte und wie hoch die Retention Rate war. Bei der Retention Rate handelt es sich um die Kundenbindungsrate. Mit der minimalen Konfiguration nutzten bereits ein paar hundert Userinnen und User die App konstant. Mittlerweile ist die App in fünf Ländern und Sprachen verfügbar. Das Feedback der Userinnen und User stellt die Ansatzpunkte für Weiterentwicklungen dar, mit denen nach und nach sämtliche Use Cases abgedeckt werden sollen.

Diese Gefahr besteht definitiv. Es ist wichtig der Kundschaft in einem solchen Fall die grösst mögliche Transparenz zu bieten.

TOM basiert auf der These, dass Frage und Antwort es einfacher machen, die App zu nutzen. Die Hauptaufgabe von TOM liegt in der Reduktion des täglichen Stresses bei der Einnahme von Medikamenten. Die Vision von TOM beinhaltet die Vorhersage von Therapieverläufen mittels künstlicher Intelligenz zur Vorbeugung von Folgeerkrankungen. Dies bietet die Möglichkeit die Kosten der Folgeerkrankungen stark zu reduzieren. Mit der Vorhersage soll den Healthprofessionals eine Grundlage geboten werden, um bestimmte Massnahme einzuleiten.

Die Entwicklung einer nutzerfreundlichen Software ist sehr schwer. Zentral sind ease of use sowie user experience. Die Einfachheit eines Produkts zu erzeugen und beizubehalten ist das schwierigste der gesamten Entwicklung.

Die Gefahr liegt in den Ideen und Möglichkeiten viele neue Funktionen integrieren zu wollen, um die perfekte Lösung zu erhalten. Meist sind diese nicht gut zu bedienen.

Therapiebegleitung und Medikamentenmanagement sind trotz der Einfachheit von TOM sehr komplex. Es kommen viele Komponenten wie Motivation und Psychologie hinzu. Für die Gewährleistung der Einfachheit hilft nur Erfahrung. Dies betrifft jedoch nicht nur die eigene. Es hilft, Personen mit Erfahrung in verschiedenen tangierenden Bereichen zu befragen oder den Blick auf andere Branchen auszuweiten. Es darf zudem nicht vergessen werden, die Userinnen und User einzubeziehen.

Weiter ist es wichtig, den Fokus richtig zu setzen und Ideen zu selektieren. Als Beispiel kann die Registration vor Nutzung vieler Apps genannt werden. TOM verzichtet gänzlich auf eine solche Registration und ist gänzlich anonym. Es gibt lediglich eine User-ID. Das Unternehmen an sich bedarf keiner personenbezogenen Daten der Userinnen und User, um den Zweck der App erfüllen zu können. Die Datenhoheit liegt somit bei den Userinnen und Usern. Bei Verlust der User-ID können die Userinnen und User jedoch nicht mehr auf das persönliche Backup zugegriffen.

Es gibt nicht die Lösung XY. Zunächst sollte der Community Gehör geschenkt werden. Bei Häufung bestimmter Anforderungen und Vorschläge heisst dies nicht, dass es sich um die exakt die richtige Lösung handelt. Die Lösung wird diskutiert und entsprechend der Ergebnisse der Diskussion implementiert. Es kann auch vorkommen, dass Implementierungen rückgängig gemacht werden. Ein aktuelles Beispiel sind die Historien der Therapietreue. Bei Entwicklung des Druckbildes für die Statistiken wurde zwar ein optisch ansprechendes aber im Endeffekt nicht funktionales Ergebnis erzielt. Aus diesem Grund wird die Funktion nochmals überarbeitet. Das Wegnehmen bestimmter Funktionen stellt aber immer ein Problem dar, da ein gewisser Teil der Kundschaft eben diese Funktion geschätzt hat.

Es ist nicht klar, ob diese Idee nicht funktioniert, da sie nicht umgesetzt wurde. Ein zentrales Element des Notification-Centers sollte das direkte ansprechen der Userin oder des Users über die User-ID sein. Dieses Element ist jedoch sehr umfangreich und andere Funktionen wie das Ausschleichen einer Therapie waren für die Kundschaft deutlich dringender. Die für das Unternehmen eigentlich sehr wichtige Funktion wurde daher nach hinten verschoben.

Langfristig gelingt dies nur über das Produkt. Marketingseitig kann dieses Ziel über einen eher langsamen Weg oder einen kurzen gepushten Weg beispielsweise mittels App Performance Marketing erfolgen. Hierbei ist wichtig, dass das Unternehmen stark datengetrieben ist. Gemeinsam mit verschiedenen Agenturen können die unterschiedlichen Kanäle auf diese Weise bearbeitet werden. In gemeinsamen Meetings werden entsprechende Kennzahlen wie cost per install (cpi), cost per click (cpc), onboarding rate oder rentention rate analysiert.

Entsprechend der Analyse können die verschiedenen Kanäle sehr schnell bedient werden. Je nach Performance der Kanäle und gesetzter Ziele wie Visibilität, werden entsprechend passende Massnahmen wie die Verstärkung des Display Marketings angestossen.

Die wichtigste Metrik für Innovation 6 AG ist die Nutzungsdauer des Produkts. Zudem sollen die Kunden in einem vernünftigen Rahmen über die installs akquiriert werden. Aus diesem Grund wurde 2019 ein Test in diesem Bereich vollzogen, da Personen das Produkt nur längerfristig nutzen, wenn es auch gut ist.

Die App bietet viele Möglichkeiten Probleme zu identifizieren. Es gibt einen Onboarding-Bereich, wenn hier bereits nicht mehr auf «Los geht’s» geklickt wird, ist die vermittelte Message sinnlos. Die App trackt jeden Schritt, um zu verstehen, wie es besser gemacht werden kann. Geld wird nicht aus den einzelnen Klicks generiert. Wichtig ist die langfristige Nutzung der App.

Es gibt viele verschiedene Quellen zu venture capitals. Das erste ist jedoch die eigene Überzeugung und Investition in ein Produkt. Ohne die eigene Investition bleibt es fraglich, weshalb andere investieren sollten. Dann können die drei F (familie, friends and fools) angesprochen werden. Als Gegenleistung für eine Investitionen werden oftmals Anteile abgegeben. Ab diesem Zeitpunkt muss klar sein, dass das Unternehmen nicht mehr dem Gründer oder den Gründern allein gehört. Dies kann ggf. mit einer Investition seitens Familie zunächst umgangen werden.

Die Akquise von Investitionen kann beispielsweise mit einem Pitch Deck erfolgen, um die Ideen präzise und klar darzustellen. Das Pitch Deck kann zudem mit fortschreitender Entwicklung verfeinert und geschärft werden.

Des Weiteren ist die Organisationsform von Innovation 6 AG sehr einfach gehalten. Die AG besteht lediglich aus den beiden Gründern und unterhält keine Mitarbeitendenverträge, sondern nur Partnerverträge mit anderen Firmen. Dies ermöglicht eine starke Fokussierung auf den Themenbereich des entsprechenden Partners und ermöglicht 100% remote Arbeit.

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