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Marco Richard – Das 1×1 der Lean- und Kaizen-Welt

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Gast des heutigen Podcasts ist Marco Richard – Head of Process Management am Kantonsspital Winterthur (KSW) und ehemaliger ZHAW-Student im Fach Betriebsökonomie von Alfred Angerer. Bei ihrem Wiedersehen betrachten die beiden die Grundlagen des Lean-Managements aus Praxissicht. Marco Richard gibt dabei spannende Einblicke in seine Lean- und Kaizen-Initiativen am KSW. Besonders spannend an dem passionierten Betriebswirtschaftler ist, dass er seine ersten Erfahrungen mit Lean vor ca. 20 Jahren als Leiter einer Kirche in Berlin machte und sein Wissen nun seit 7 Jahren am KSW etabliert und weiterentwickelt. Zudem ist er Buchautor des Werkes «Wie Leben gelingt» zum Thema Lebensgestaltung und darüber wie man bewährte BWL-Methoden einsetzt, um Ziele im Privatleben zu erreichen.

Wer mehr über das 1×1 der Lean- und Kaizen-Welt erfahren möchte sowie die konkrete Umsetzung in einem Krankenhaus, sollte unbedingt in diesen Podcast hören.

Das Buch von Marco Richard gibt es z.B. hier zu kaufen:

https://www.exlibris.ch/de/buecher-buch/deutschsprachige-buecher/marco-richard/wie-leben-gelingt/id/9783749417926

Fragen und Antworten

Vor 20 Jahren ist Marco durch den Anreiz einer effizienteren Leitung einer Kirche auf das Thema Lean und Kaizen gestossen.

Zu Lean hat Marco auch ein Methodik-Buch “Wie Leben gelingt“ geschrieben, die zur persönlichen Anwendung dienen soll. Hierbei werden einfache BWL-Methoden auf den Alltag übertragbar, um Lebensziele und Lebensumstände bestmöglich zu meistern. Seine Bachelorarbeit absolvierte er an der ZHAW.

Grundsätzlich geht es um die Vermeidung von Verschwendungen durch kleine Schritte und Massnahmen. Tagtäglich sollen Prozesse durch einen Vorwärtsblick verbessert werden, um somit eine kontinuierliche Verbesserung zu erreichen. Kaizen und Lean helfen die Barrieren von Störungen zu entfernen.

Auf der Suche nach optimierten Abläufen meiner Organisation und auch im Organisationsaufbau habe ich mir die Frage gestellt, welche Instrumente ich hierzu brauche. Ich beschäftigte mich mit der Frage “Wie bekomme ich Veränderungen schlank, störungsfrei und wertschöpfend hin?“ Um diese Fragen zu beantworten, muss man sich ebenfalls überlegen: “Wer ist mein Kunde?“, “Was bedeutet Wert für den Kunden?“, “Wie steuere ich die Prozesse?“ Mit dieser Thematik befasse ich mich bis heute.

In der Praxis kann Lean auch ohne Vorkenntnis angewendet werden. Für eine alltägliche Verbesserung sollten jedoch Lean-Experten in einer Organisation verfügbar sein. Das Know-How der Mitarbeiter kann somit effizienter genutzt werden.

Um Kundenbedürfnisse zu verstehen und zu verbessern, muss man sich in seine Lage hineinversetzen. Prozesse müssen miteinander gekoppelt und verfügbar sein, damit der Patient sich aufgehoben und ernst genommen fühlt. Der Patient spürt Prozess- und Systemstörungen.

Um wertschöpfend zu arbeiten ohne Störungen ist der Kunde zufriedener und die Zahlen besser.

Als Spitalunternehmen bin ich überzeigt davon, dass der Patient als Kunde gesehen werden muss. Diese Sichtweise ist jedoch noch nicht sehr weit verbreitet.  

Es braucht eine visionäre zielgeführte Führung. Mitarbeiter müssen gesteuert und SMART-Ziele gemeinsam definiert werden von Top-down zu Bottom-up. Das Aufzeigen des Ist- und den Soll-Zustands, sind dabei wichtige Elemente.

Die Sensibilität zur Finanzsicht besteht mindestens seit der neuen Spitalfinanzierung 2012. Mit der Liebe zur Qualität können Mitarbeiter und die Führung für das Thema Prozessoptimierung begeistert werden. Bestehende Tools wie CIRS, sind Tools zur kontinuierlichen Verbesserung. Der finanzielle Druck spricht nicht gegen eine Qualitätsverbesserung und einer Prozessoptimierung zur Mitarbeiterzufriedenheit.

Der Mitarbeiter wird sehr stark involviert in der Prozessoptimierung. Wir konnten durch Kaizen-Boards sehr viele Optimierungen erreichen. Dadurch haben die Mitarbeiter viel mehr Zeit für die eigentlichen wertschöpfenden Aufgaben und zur Mitarbeiterzufriedenheit.

Eine Lean-Methodik bedarf zuerst einer Identifizierung des Werts. Als Zweites sollte ein Wertfluss störungsfrei gestaltet werden, dabei hilft es den Wertstrom zu visualisieren. Im komplexen Spitalsystem lohnen sich hierbei interdisziplinären Kaizen-Boards, die geordnet sind nach Administration, Pflege, Logistik, Ärzte. Meines Erachtens sind jedoch die interdisziplinären Boards die lohnendsten, sodass zusammen an einer Verbesserung gearbeitet werden kann. Und Drittens sollte an der kontinuierlichen Verbesserung anhand der Tools gearbeitet werden.

Die ersten drei Pilot-Boards gibt es bis heute nach acht Jahren Einführung immer noch.

Kaizen kommt aus dem Japanischen und beutet “Wandel zum Besseren“.

Ein Kaizen-Board kann verschieden gestaltet werden. Die Verfügbarkeit eines Boards für Mitarbeiterideen für Verbesserungsabläufen ist elementar. Es werden Post-Its mit Namen und Datum und der Idee an das Board angehängt. In regelmäßigen gemeinsamen Meetings werden die Ideen besprochen und zur Maßnahmen-Tabelle gehängt. Die Umsetzung der Maßnahmen erfolgt in kleinen Schritten, die ohne großen Aufwand erledigt werden können. Dabei wird festgelegt wer und bis wann diese Maßnahmen erledigt. Größere Ideen werden in einem Quadranten für größere Projekte beiseitegeschoben. Weiterhin gibt es auch Verbesserungsquadranten für Ideen für eine verbesserte Führung.

Je nach Kaizen-Board-Thema gibt es diverse Verbesserungsvorschläge. Beispielsweise besprechen Ärzte momentan, wie sie ihre Patienten-Sprechstunden optimaler vorbereiten können. Je nach Abteilung gibt es jedoch andere Handlungsfelder. 

Die ersten Pilot-Kaizen-Boards wurden 2012 gestartet. Durch die positive Resonanz entschieden wir uns dies weiterzuführen. Im KSW bestehen nun insgesamt 90 Kaizen-Boards. Im Jahr 2016 wurde ein Konzept verfasst, indem wir erklären, was genau die Lean und Kaizen für uns als Organisation bedeutet. Da Lean je nach Organisation anders verstanden und ausgelegt wird, ist dies ein wichtiger Schritt.

Darin werden die von uns eingesetzten und standardisierten Tools festgelegt. Damals haben wir auch eine Lean-Verantwortliche eingestellt. Es braucht eine gewisse Zeit, bis die Methodik von Top-down bis Bottom-up akzeptiert wird.

Im Jahr 2019 gab es eine Exkursion, bei der die Spitalleitungen gemeinsam in ausländische Spitäler reisten, um zu erfahren, wie diese Lean praktizieren. Solche Ereignisse können matchentscheidend sein, um den Kaizen-Gedanken durchzudringen.

In einigen anderen Branchen ist das gemeinsame Besuchen von Organisationen zu Ideengewinnung zur Verbesserung normal. Es werden jedoch immer die Kennzahlen als vordergründig betrachtet.

Das ist ein momentanes Thema in unserer Organisation. Wir überlegen uns “Wie können wir die strategische Ausrichtung und den operativen Betrieb in die strategisch verbindlichen Kennzahlen herunterbrechen“.

Mit der Hinterlegung des Konzeptes wurden die Lean-Projekte als Projekte anerkannt. Hierbei werden nun die Kennzahlen bereichsspezifisch und strategisch runtergebrochen.

Ich erinnere mich gerne zurück an mein allererstes Projekt an der KSW “elektronische Behandlungspfade“. Viele Behandlungen waren definiert auf Papier. Diese zu digitalisieren war ein grosses Projekt.

Innerhalb eines Jahres konnten wir Behandlungen und Verordnungen in einem Programm digitalisieren, wobei das Projekt nicht als umsetzbar anerkannt wurde.

Ich glaube das erfolgskritische ist die Change-Management-Methodik.

Das Thema muss gut verkauft und Überzeugungsarbeit geleistet werden. Die kontinuierliche Zielkommunikation auf allen Ebenen und das Erstellen eines geeigneten motivierten Teams ist sehr ausschlaggebend.

Dabei wurden auch individuelle Lösungen geschaffen für Abteilungen, die unsere Verbesserungsvorschläge anfangs nicht akzeptieren wollten.

In einem zweiten Erfolgsprojekt wurden in einem Spital die Terminkonflikte der unterschiedlichen Informationssysteme in einer Applikation zusammengetragen, sodass die Termintransparenz für den Patienten und die Mitarbeiter verfügbar war. Die internen Behandlungen konnten durch den verbesserten Prozess des Behandlungsstools auch besser organisiert werden. Dabei konnten wir messbare Ergebniszahlen vor und nach der Implementierung liefern, die den verbesserten Prozess aufzeigen konnten. 

Fehler sind eine wertvolle Informationsquelle zur Verbesserung. In einem Lean-Projekt durch einen externen Berater lief das Change-Management in eine falsche Richtung. Wir waren nicht involviert.

In einem meiner Vorträge wurde ich durch die Mitarbeiter darauf aufmerksam. Die Folgen waren, dass die Hälfte der Belegschaft gekündigt hatte.

Im Gespräch mit den Mitarbeitern wurde klar, dass das Change-Management katastrophal geführt wurde. Die Mitarbeiter wurden nicht involviert.

Hier zeigte sich wie wichtig es ist die Mitarbeiter ernst zu nehmen und eine gute Kommunikation aufzubauen und sich dabei zu überlegen “Wer hat wieviel Einfluss und wer hat welche Interessen“.

Der Kommunikationsplan sollte dabei vielschichtig angepasst werden.

Zur Verstärkung der Überzeugungsarbeit ist es ratsam mit Kennzahlen zu arbeiten und den Mitarbeitern Raum zur kritischen Fragestellung zu geben. In diesem Projekt wurde klar, dass das Thema Lean nicht richtig implementiert worden war. Die Implementierung des Kaizen-Boards jedoch konnte jedoch danach erfolgreich von uns implementiert werden.

In einem ersten Schritt die Ist-Situation zu ermitteln. Hierzu ist es ratsam Personen aus der Organisationsentwicklung, dem Direktionsstab oder der Führung einzuladen und gemeinsam die Situation zu analysieren.

Die Störungen, Fehler und Stressfaktoren sollten identifiziert und quantifiziert aufgezeigt werden. Einen Lean-Kaizen-Experten zur Hilfe zu holen, um die Ist- Situation aufzuzeigen wäre von Vorteil.

Lean ist eine Haltung und Managementmethodik, die zeitlos ist und weiterentwickelt wird. Lean kann an die jeweilige Branche immer angepasst werden. Grundsätzlich befürworten Mitarbeiter eine Involvierung zur Verbesserung. Sie brauchen jedoch oft methodische Unterstützung zur Begleitung der Projekte. Ausserdem braucht es oftmals einen Lean-Botschafter im oberen Kader, der die Lean-Thematik vertritt. Die Lean-Welle ist kein Trend und auch Zukunftsthema.

Für das Erarbeiten von Lean braucht es den Dialog und dafür braucht es nach wie vor konventionelle Mittel. Für den Workshop sind alle agilen Mittel zulässig. Wichtig ist, dass die Inhalte verbindlich festgehalten sind. Die Frage des “Wie?“ ist dabei irrelevant. Betriebliche Prozessoptimierungen hinsichtlich Digitalisierung sind jedoch sehr relevant.

Alles was physisch vorhanden und fassbar ist, ist einfacher und optimieren. Digitale Prozesse hingegen sind schwieriger optimierbar, da sie visuell schwieriger fassbar.

Es könnten meiner Meinung nach, die Prozesse noch bis zu 30% optimiert werden. Daher sollten wir uns in Zukunft auf die Lean-Methodiken fokussieren, um die Prozesse weiterhin zu optimieren.

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