Es ist einmal wieder soweit und Alfred Angerer lädt einen der Co-Autoren seines neuen Buches «New Healthcare Management – 7 Erfolgskonzepte für das Gesundheitswesen» ein, um einem weiteren grossen Management-Konzept, «Design Thinking» , auf den Grund zu gehen.
Dr. Christophe Vetterli ist dabei kein unbekanntes Gesicht in diesem Podcast (vgl. Episode 22). Seit der letzten Aufnahme im Juni 2020 hat sich beim studierten und promovierten Betriebswirtschaftler jedoch beruflich einiges geändert und er ist mittlerweile Gründer und Managing Partner bei Vetterli Roth & Partners. Hier widmet er sich vertieft der Fragestellung, wie mittels Design Thinking Innovationen im Expertenumfeld des Gesundheitswesens provoziert werden können und gibt nun auch Alfred und der Zuhörerschaft einen vertieften Einblick darüber.
So macht der Design Thinking Experte im dritten Kapitel von «New Healthcare Management» dieses Erfolgskonzept anhand eines Fallbeispiels ganz greifbar und zeigt auf, wie der Anteil der interprofessionellen und integralen Zusammenarbeit im Rahmen einer 45-minütigen Visite zwischen Pflege und Ärzteschaft von 3 Minuten auf über 20 Minuten erhöht werden konnte und wie so nicht nur die Zufriedenheit des Spital-Personals erhöht wurde.
Hören Sie in diese Podcast-Episode und erfahren Sie mehr über dieses konkrete Anwendungsbeispiel und darüber hinaus, was sich hinter diesem prototypenbasierten, iterativen Innovationsansatz verbirgt, der auf interprofessionelle Problem- und Lösungserarbeitung setzt und sich dabei an den Bedürfnissen und dem Involvieren aller involvierten AkteurInnen orientiert, um auch nachhaltig getragen zu werden.
Bei Interesse am Kapitel «Design Thinking» und den weiteren sechs Erfolgskonzepten können Sie das neue Buch der insgesamt 13 AutorInnen bei der Medizinisch Wissenschaftlichen Vertragsgesellschaft oder in der Buchhandlung Ihres Vertrauens bestellen (https://www.mwv-berlin.de/produkte/!/title/new-healthcare-management/id/796).
Fragen und Antworten
Alfred Angerer stellt vor: Dr. Christophe Vetterli ist Gründer und Managing Partner bei Vetterli Roth und Partner. Er hat an der HSG BWL studiert und promovierte zusammen mit der Standfort University. Insgesamt hat Christophe Vetterli über 100 Design Thinking Projekte durchgeführt.
Seit kurzem führt Christophe Vetterli zusammen mit Raffael Roth ein Unternehmen, was viele neue und spannende Aufgaben mit sich bringt. Es braucht Mut, sei aber lohnenswert und er empfiehlt diesen Schritt durchaus weiter.
Der zweite Fakt ist, dass er stolzer und neuer Besitzer dreier Katzen ist. Als dritter Fakt erwähnt er, jahrelang intensiv Judo gemacht zu haben. Bei diesem Sport lernt man, fremde Energie in den eigenen Sieg umwandeln zu können, was bei Innovationen ähnlich abläuft. Dort erlebt man oft Gegenwind, kann einiges davon lernen und diese Energie dann in positive Innovation umwandeln.
Christophe Vetterli bekommt oft Rückmeldung von seinem privaten Umfeld, eine gewisse Inspirationskraft zu haben. Innovation ist die erfolgreiche, monetäre Umsetzung, weshalb er beruflich versucht, die richtigen Personen für diese Umsetzung zusammenzukriegen. Seiner Meinung nach braucht es für Innovation ein Team, denn alleine kann man zu wenig bewirken.
Christophe Vetterli hat sich während seiner Ausbildung viel mit Innovationswissenschaften befasst. Er äussert, dass vieles davon lernbar ist. Wichtig ist es, neugierig zu sein, sein Umfeld mögen und offen sein was das mögliche Endprodukt betrifft. Denn oft weiss man nicht, was am Schluss herauskommen wird. Mit diesen Eigenschaften hat man gute Möglichkeiten, sich mit Innovation auseinanderzusetzen und auch diese vorantreiben zu können.
Hier muss man laut Christophe Vetterli Acht geben, wer mit wem verglichen wird. Gewisse Dinge sind vergleichbar. Wenn ein Unternehmen innovativ erfolgreich ist, dann zeigt sich dies in verschiedenen Faktoren aus, wie Patientenzufriedenheit, aber auch bei der Anzahl der Mitarbeitenden und einem besseren EBITDA zum Beispiel. Früher gab es den Design Value Index, womit ein Unternehmen nach Innovation und Design Thinking bewertet wurde. Dieser zeigte, dass Spitäler mit einem hohen Index erfolgreicher waren, auch finanziell.
Der Design Value Index hat das in der Vergangenheit bereits deutlich gezeigt, es gab mehrere Studien, die zeigten, dass eine designaffine Umgebung erfolgreich ist. Man muss eine Plattform generieren und ein Umfeld anbieten, damit Design Thinking auch erfolgreich angewendet werden kann.
Es geht um ein Projekt, welches von Christophe Vetterli begleitet wurde. Während der Covid Pandemie wurde der Visitenprozess aufwändiger. Die Pflegefachpersonen befanden sich während der Visite isoliert in den Patientenzimmer, die Ärzteschaft war vor der verschlossenen Tür. Es gab keine eigentliche Interaktion zwischen den beiden Berufsgruppen, was zur Folge hatte, dass viele Informationen im Anschluss zusammengesucht werden mussten. Es war ein klassisches, interprofessionelles Umfeld, wo die einzelnen Prozesse nicht aufeinander abgestimmt waren.
Die aktuellen Lösungen für einzelne Parteien machen aus dessen Perspektive Sinn. Es wird aber noch viel zu wenig in eine interprofessionelle Problemlösung investiert. Design Thinking setzt dort an, wo gemeinsam ein integraler Prozess prototypisiert und getestet wird, damit es für alle Parteien einen Mehrwert bringt und die Zeit von allen Seiten gut investiert wird. Den Visitenprozess gemeinsam als Team interdisziplinär weiterentwickeln, das macht Design Thinking.
Im Spital war das Problem vielen bereits bewusst. Das Problem war, dass die Ressourcen so knapp sind. Der Chefarzt der Klinik hat dann die Initiative ergriffen und geäussert, dass es ein Team mit mehreren Parteien braucht, um den Visitenprozess insgesamt neu zu überarbeiten. Es ist sehr entscheidend, dass die betroffenen Personen im Projekt mitentwickeln, um einen effizienteren, nachhaltigeren und weniger verschwenderischen Prozess zu erreichen.
Design Thinking besteht aus mehreren Elementen. Es ist ein Innovationsansatz, der sehr prototypenbasiert ist. Ein interprofessionelles Team, erfasst gemeinsam die Probleme, die Bedürfnisse der Mitarbeitenden und der Patientinnen und Patienten. Anschliessend geht man in den Prozess rein, um Prototypen und Lösungsideen umzusetzen. Dazu wird eine Prozesslandschaft aufgebaut, um die Idee mehrfach durchspielen zu können. Die Prozesslandschaft und der Prototyp haben den Vorteil, dass man nahe an den wahren Prozess herankommt und die Prototypen besser miteinander vergleichen kann. So kann man schnell eine Problemlösung entwickeln.
Es braucht Zeit einen solchen Prozess zu entwickeln, man arbeitet mehrere Tage am Stück aneinander. Die Personen werden aus dem Tagesgeschäft herausgenommen, um einen innovativen Ansatz entwickeln zu können. Dabei geht man bei jedem Projekt gleich vor: Man startet mit einem Kickoff. Hier wird geschaut, was der methodische Hintergrund ist, es werden Aufwärmübungen durchgeführt, damit sich die Personen in die Design Thinking Logik hineinsetzen und auf die Bedürfnisse eingehen können. Dann macht man einen Schritt zurück, um das Problem zu verstehen und Empathie gegenüber den Betroffenen aufzubauen. Man macht ethnographische Studien, um am Ort des Geschehens zu verstehen, was das Problem ist und was die Bedürfnisse dieses Problems sind.
Input Alfred Angerer: Wieso sollen Mitarbeitende welche seit langem schon dort arbeiten, bei so etwas mitmachen, wenn sie das Gefühl haben, das Problem schon längst erkannt zu haben?
Christophe Vetterli argumentiert, dass genau das der Teil des Problems ist, dass dies die Mitarbeitenden wissen. Es geht beim Design Thinking nicht darum, fundiertes Wissen zu ignorieren, sondern darum, die Erfahrungen in ein interprofessionelles Team zu integrieren. Es braucht ein Team, welches gemeinsam das gleiche Verständnis zum Problem hat. Die Lösung ist nur das Nebenprodukt, das Hauptprodukt ist die Veränderung, die als Team entstanden ist. Christophe Vetterlis Hauptmotivation ist es, etwas an Innovationskraft dort zu lassen, damit Design Thinking ein Teil der täglichen Arbeit im Unternehmen wird.
Es braucht Personen mit unterschiedlichen Expertenperspektiven. Im Spital gehören oft Pflege, Ärzteschaft mit verschiedenen Erfahrungsstufen dazu. Bei digitalen Ansprüchen wird die IT noch hinzugezogen, sowie Architektinnen und Architekten bei baulichen Massnahmen. Es geht darum, möglichst unterschiedliche Perspektiven zu integrieren. Die Wissenschaft sagt, dass das agilste Innovationsteam aus drei Personen bestehen soll. Das ist bei vielen Projekten im Gesundheitswesen zu wenig, weil viele Berufsgruppen involviert sind. Christophe Vetterli meint, dass er oft mit 6-10 Personen an einem Projekt arbeite. Die betroffenen Berufsgruppen sind dabei, aber die Gruppe ist nicht so gross, dass nur noch diskutiert, aber nicht mehr gehandelt wird.
Es werden die Etappen der Visite aufgezeichnet. Die Vorbereitung der Visite gehört da bereits dazu. Hier haben die Berufsgruppen bereits einen Austausch beim Schichtwechsel von Neuigkeiten. Die Frage ist, wie bereitet man sich auf die Visite vor, wann kommt das interprofessionelle Team zusammen und was wird besprochen? Der Prototyp wird daraus aufgebaut, mehrfach durchgespielt, um noch vorhandene Lücken oder Probleme zu erkennen und auch um sicher zu gehen, dass die richtigen Personen dabei sind und Bedürfnisse berücksichtigt werden. Dabei wird mit altem Material oder Kartonschachteln zur Visualisierung des Prozesses gearbeitet. Es braucht nicht viele Instrumente, um eine haptische Umgebung darstellen zu können.
Ursprünglich lag die Anwesenheitszeit der Pflege während der Visite bei 2-3 Minuten, für die Ärzteschaft 45 min. Während dem Design Thinking Prozess wurde ersichtlich, dass beide Berufsgruppen praktisch gleich viel Zeit benötigen, um eine optimale Versorgung für die Patientin oder den Patienten geben zu können. Neu wurde die Visitenzeit anders strukturiert und die Zeit gleich für beide Berufsgruppen aufgeteilt. Die Ärzteschaft strich Tätigkeiten aus der Visite raus, die nicht relevant waren und die Pflege führte Tätigkeiten während der Visite durch, welche zuvor ausserhalb der Visitenzeit stattgefunden haben. Dadurch wird der Visitenprozess effizienter genutzt, alle relevanten Informationen sind enthalten, die Sicherheit steigt damit und der Prozess ist zudem schneller geworden. Die Zeiten vor und nach der Visite können dadurch besser genutzt werden. Das Team war sehr motiviert und hat sich viel Gedanken gemacht, welche Schritte für den Visitenprozess relevant waren und welche nicht.
Es gibt nur wenige Personen in einem so komplexen Expertenumfeld, welche sich nicht begeistern lassen von einer besseren Lösung. Wichtig ist, dass es für Mitarbeitende und Patientinnen und Patienten stimmt. Wenn man eine gewisse Energie und Dynamik in ein Team bringt und ihnen aufzeigt, was sie prototypisieren können, ist die halbe Miete getan.
Christophe Vetterli äussert, dass sich grundsächlich was im Gesundheitswesen geändert hat. In dieser Branche wurde erkannt, wieviel Potential in solchen prototypenbasierten Problemlösungsarbeiten stecken. Auch wenn nicht immer, aufgrund von sehr einschränkenden Rahmenbedingungen, die innovativsten Lösungen möglich sind. Das heisst aber nicht, dass man Design Thinking nicht anwenden kann. Gerade für eine hierarchiefreie interdisziplinäre Lösungssuche kann es sehr entscheidend sein. Dieses Potential wurde in den letzten Jahren mehr wahrgenommen.
Aus Christophe Vetterlis Sicht als Unternehmer hat sich verändert, dass weniger auf Methoden beharrt wird. Wenn Erfahrung miteingeflossen wird, kann man Abstand von Methoden nehmen. Entscheidend ist, eine Plattform zu bieten, wo auch eigene Methoden Platz haben. So kann ein nachhaltiger Change produziert werden. Ausprobieren sei dabei das Wichtigste für ein Team und die meisten seien laut Christophe Vetterli begeisterungsfähig, ein innovatives Umfeld zu schaffen.
Hier stellt sich die Frage, welches Ziel verfolgt wird. Design Thinking ist bei kleinen Projekten mit klarem Ziel, aufgrund des Zeitaufwandes nicht der richtige Ansatz. Bei Grossprojekten mit offenem Ausgang hingegen ist Design Thinking sehr gut geeignet, gerade wenn mehrere Personen aus verschiedenen Bereichen involviert sind. Es braucht dafür viel Zeit, Aufwand und Kraft und genau hier ist Design Thinking sehr innovativ.
Wenn in der Spitalleitungsebene der Beruf Chief Design Officer anzutreffen ist, dann wäre laut Christophe Vetterli ein grosser Schritt erreicht. Dieser Beruf, welcher bereits in anderen Branchen anzutreffen ist, würde viele neue Fragen stellen und einen grossen Impact auf eine Organisation haben.
Input Alfred Angerer: Was hat dieser Beruf für eine Aufgabe?
Er oder sie hinterfragt Prozesse: wie wurde entwickelt, welche Personen sind involviert, was wurde entwickelt. Er oder sie besitzt eine Innovationsperspektive, welche entscheidend ist, um flächendeckend Design Thinking anwenden zu können.
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