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Christophe Vetterli – Design Thinking

22 ELS Steuern Mitarbeitende/Zusammenarbeit Organisation/Strukturen Leisten Prozesse Einkauf Produktion (Leistungserstellung) Entwickeln Innovation Strategie Start-ups Leistungerbringer Spitex Alters- und Pflegeheime Rehaeinrichtungen Arztpraxen Spitäler Patientenzentrierung Interprofessionelle Zusammenarbeit Management im Gesundheitswesen

Christophe Vetterli ist klassischer Betriebswirtschaftler und hat eine Design Thinking Ausbildung in Stanford durchlaufen. Sein Schwerpunkt liegt im Bereich Prototyping im Gesundheitswesen. Er ist der Meinung, dass das Gesundheitswesen mit innovativer Technik zwar sehr gut aufgestellt ist, aber gerade Prozessinnovationen und Patientenorientierung befinden sich auf einem schwerfälligen Weg. Am Beispiel eines Spitalneubaues diskutiert er mit Alfred Angerer, welche Innovationen durch Design Thinking geschaffen werden können.

Fragen und Antworten

Christoph Vetterli ist einer der Schweizer Gurus im Design Thinking. Seine Ausbildung hat er in St. Gallen als BWLer gemacht, hat in Stanford seine Ausbildung in Design Thinking absolviert und hat das Prototypisieren relativ stark verankert.

Innovation muss sich an dem Ort beweisen, an dem es den Mehrwert generieren soll sowie die Bereitschaft des Nutzens der Innovation. Die Innovation ist erst abgeschlossen, wenn die Kunden eine verbesserte Situation dadurch antreffen. Im Gesundheitswesen ist Innovation geprägt von medizinischen Forschungsergebnissen, der technischen Medizin sowie der Prozessinnovation. Die Branche Gesundheitswesen weist noch sehr viel Potenzial in der Prozessoptimierung auf. Die medizinische Innovation im Gesundheitswesen ist ein Klassiker und weist Fortschritte auf. Hingegen weist die Entwicklung von neuen Dienstleistungen und die Entwicklung neuer Produkte hinsichtlich des Prozesses Aufholbedarf auf.

Im Gesundheitswesen werden Innovationen meist durch progressive Protagonisten initiiert, wie beispielsweise dem Chefarzt oder der Direktion, die Verbesserungswünsche anbringen. In anderen Branchen entstehen aus Kundenbedürfnissen relativ strukturiert und kundenzentriert Innovationsprozesse. Im Gesundheitswesen ist der kundenzentrierte Innovationsprozess noch nicht durchgedrungen, sowohl vom Mitarbeiter- als auch aus der Patientenperspektive.

Es gibt unterschiedliche Quellen des Design Thinkings. Die dominantesten Quellen sind jedoch das “Center for Design Research“ und “School of Engineering in Stanford-Silikon Valley“. Diese haben Ende der 1960er Jahre sehr interessante technische Lösungen initiiert durch das Design Thinking. Die klassische Methode des Design Thinkings kam meist von der technischen Seite. Wichtig ist dabei, dass der Innovationsgedanke vom Kundenbedürfnis aus entstehen muss.

Der Ansatz des Design-Thinking besagt im Kern:

“Lerne schnell, was nicht funktioniert. Teste den Effekt deiner Idee anhand eines Prototypen und finde heraus, ob die Idee das Problem löst.“ Dabei ist es sehr wichtig den Menschen an sich ins Zentrum zu stellen und seine Bedürfnisse und seine Werte gut zu verstehen.

Nachdem gilt es kreative Ideen zu produzieren. Genau nach diesem Prinzip handeln sehr innovative Firmen. Durch das verfahren des Prototypisierens steigt durch die Kombination von Hand und Gehirn die Kreativität um 35%. Dieses Phänomen ist besonders interessant im Gesundheitswesen, da die medizinischen Tätigkeiten besonders viel Handarbeit am Menschen benötigen. Daher bietet das Design Thinking dieser Disziplinen viel Ansatz.

Es wird interprofessionell ein Design Thinking Team gebildet. Sie beschäftigen sich gemeinsam mit der Frage: “Wie wollen wir in Zukunft den Patienten –z.B. durch den Notfallprozess führen mit neuen verbesserten Prozessen und Strukturen?“ Dabei sei das Patientenbedürfnis im Zentrum, um diese besser adressieren zu können.

In Graz wurde beispielsweise plastisch vor der Pforte ein Notfallschild aufgebaut. Wie überlegten uns, welche Gedanken der Patient hat, wenn er davorsteht. Die Fragen, was auf ihn zukomme, welche Schritte eingeleitet werden und wie später sein Tagesablauf mit den Terminen ausschauen wird, waren zentrale Elemente. Diese Bedürfnisse sollen interprofessionell angegangen und in der Strukturplanung integriert werden. Patientenbedürfnisse können ebenfalls identifiziert werden, wenn Prozesse in einer Station einfach mal über Tage beobachtet werden.
Die Ideen zur Bedürfnisanpassung wurden schnell haptisch prototypisiert. Dazu wurden Personen zum Test eingeladen, die die Bedürfnisbefriedigung testen sollten.  Somit hatten die Mitarbeiter Strukturen geformt, die dem Patienten zugutekommt und ihre Arbeit erleichtert. Viele Elemente bzw. Ideen wurden auch verworfen. Interessant jedoch war besonders das Erweichen der Hierarchiestufen während der Ideengestaltung im interprofessionellen Team. Ebenso machen wir das mit dem Gestalten neuer Projekte, wie z.B. eines Gebäudebaus eines neuen Ambulatoriums.

Eine Innovation bedarf einer interprofessionellen Diskussion und einer interprofessionellen Bedarfsplanung. Mit einem haptischen Prototyp wie die der Notfallpforte, wird das gleiche Verständnis des Problems visualisiert. So wird schnell die gleiche Diskussionsbasis generiert.

Wir haben uns mit jeglichen Patientenbedürfnissen und -fragen befasst, wie z.B. dem Angehörigenprozess und der Art von Plattformen zur Aufklärung. Um das Feedback der Testpersonen zu validieren und zu erfragen, müssen alle beteiligten Professionen anwesend sein. Somit können Entscheidungen schnell gemeinsam getroffen und weitere Entscheidungen getroffen werden.

Im Beginn des Prozesses gilt es neue Fragen zu erfassen und die Ecken zu beleuchten, die noch unerkannt gewesen sind. Die innovativen Ideen werden erst im Prozess generiert. Die dahinterliegenden Bedürfnisse beim Feedback werden erfasst durch gutes Beobachten und gutes Zuhören. Die Kraft des Prototypisierens projiziert eine Idee oder ein unerwartetes Feedback der Testpersonen.

Im Brainstorming werden die Hierarchien nicht verwischt. Diese werden meistens individuell erfasst und später zusammengetragen. Brainstorming ist nicht das richtige Tool, um innovative Prozesse zu gestalten, wenn Hierarchiestufen noch stark sind. Es gibt in jeder Methodenanwendung grundlegende Regeln, die zu beachten sind. Design Thinking bedeutet primär nicht Ideen zu sammeln, sondern die Ideen schnell umsetzen.

Den Menschen muss man aus seiner Komfortzone herauslocken. Es benötigt eine Materialbeschaffung, die günstig ist und einfach veränderbar und gestaltbar ist. Es braucht eine Auswahl an Materialen, die helfen Ideen haptisch gestalten zu können. Das können alte Alu-Dosen oder Knete sein. Beim Design Thinking geht es vor Allem um die Fassbarkeit und die Visualisierung. Da ist kein Material falsch. Die diversen Materialien provozieren Kreativität und Innovation.

Die Bedenken sind meist nicht im Gesundheitswesen, sondern in anderen Branchen von mir erlebt worden. Die Schwierigkeit liegt meist darin ein Team zu generieren und in Ressourcen zu investieren, die einen Tag Zeit mitbringen, um Innovation zu generieren. Design Thinking ist eine sehr unkonventionelle Methode, die dem medizinischen Handwerk sehr entgegenkommt.

Meist ist der erste Prototypentwurf im ersten Innovationsprozess noch nicht zu weit herausgefordert. In Stanford wird der erste Prototyp nur zum Verwerfen provoziert. Dies hat zwei Komponenten: Zum einen, weiss man, dass der nächste Prototyp verbessert entwickelt wird und zum anderen soll man sich nicht zu sehr auf die erste Idee des Prototypen versteifen, sondern Raum zulassen, um andere Aspekte noch zu beleuchten. Die erste zum Verwerfen produzierte Prototypengestaltung, wird auch “Dark Horse“ genannt -also das Pferd auf das man nicht setzen würde.  Der erste Prototyp dient zur kritischen Fragenstellung und erneuter radikaler Annahmen. Der erste Prototyp hat die Aufgabe die erstbeste Idee in den Grundannahmen zu hinterfragen. Hierbei dienen “Was wäre wenn- Annahmen“. Zum Beispiel beim Ambulatorien-Bau: was wäre, wenn 70% der Konsultationen nur noch digital stattfinden würden?

Durch diese komplett andere Annahme und die komplett andere Ausgangslage wird eine plötzlich andere Ausgangslage angetroffen, der radikalere Innovationen provoziert.

Das Prototypisieren kann im Design Thinking  durch Rollenspiele dargestellt werden. Der Kommunikationsprozess oder ein Beratungsgespräch kann nachgespielt werden. Touch-Points des Erlebnisprozesses können ebenfalls haptisch aufgebaut werden. Es kann praktisch alles prototypisiert und kreativ gestaltet werden.

Wenn einige zentrale Elemente für einen Neubau zu Beginn nicht angedacht worden sind und später angepasst werden müssen, sind Umbaufunktionen viel teurer. Es gibt Studien, die besagen, dass eine Investition in die Planungsphase des Neubaus eine massive Geldeinsparung ermöglicht.

Der Prozess provoziert Innovation. Die viel grössere Herausforderung ist die Realisierbarkeit der Prototypen und viel weniger die Sorge, dass die Mitarbeiter keine innovativen Ideen generieren könnten. Die Arten der Verschwendung des Leans besagen, dass die Kreativität der Mitarbeiter, die an Kernprozessen beteiligt sind, genutzt werden müssen. Das Bieten einer Plattform zur Entwicklung ihrer Kreativität ist eine Grundlage hierfür.

Design Thinking ist wichtig, um Innovationen in der komplexen Umgebung zu schaffen. Der Bekanntheitsgrad von Design Thinking im Health Care- Bereich ist durchaus verzögert. Skandinavische Länder, das Universitätsklinikum in Graz und das Kaiser Permanente arbeiten schon sehr stark mit Design Thinking, da sie bereits den Mehrwert sehen. Trotzdem ist Design Thinking noch nicht so verbreitet im Gesundheitswesen wie in anderen Branchen. Es gibt viele Berührungspunkte im Gesundheitswesen. Diese sind jedoch noch ausbauwürdig. Auch das Bankensystem ist schon einer der früheren Vorreiter bei der Umsetzung der Prozesse durch Design Thinking.

Das Design Thinking hilft vor allem die interprofessionellen Strukturen im Gesundheitswesen zu einer gemeinsamen Diskussion zu bewegen.

Ein Command Center - Idee ist ein Planungs- und Steuerungscenter, die einem Kernteam an Entscheidungsträger die Möglichkeit gibt, anhand von Fakten und Daten gewisse Entscheidungen zu fällen. Im Command Center wurden Kundenbedürfnisse und die Art der Informationssammlung anhand der Covid-Situation identifiziert. Gemeinsam entwickelten Experten interprofessionell in einem Raum über sieben Tage hinweg einen Kommunikationsstandard und eine Problemlösungsstrategie zur Pandemie-Krisenbewältigung. Dabei konnten Experten immer wieder Bezug zu neuen Daten und Fakten nehmen. Keiner hatte eine Vorstellung wie das Endprodukt des Command Centers ausschauen soll. Am siebten Tag konnten wir durch gemeinsames schnelles Lernen ein Prototyp des Command-Centers entwickeln, indem die Art und Standardisierung der Informationssammlung festgelegt wurde. Ebenfalls konnten Chancen aus der Krisensituation abgeleitet werden für eine Post-Covid-Zeit.

Wenn die Lösung des Problems schon bekannt ist, braucht es keine Anwendung mehr von Design Thinking. Ebenfalls ist Design Thinking nur sinnvoll, wenn eine heterogene Gruppe zusammengestellt werden kann, da verschiedene Denkweisen und Aspekte für Innovation grundlegend sind. Auch das Testen des Prototypen durch Testpersonen ist ein elementarer Teil. Eine grosse Einschränkung stellt das Verständnis von Gremien dar, nur einen Prototypen zu produzieren.

“Versuche jeden Tag einen haptischen Prototypen zu entwickeln, dann kommst du jeden Tag einen Schritt weiter.“

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