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Die Leiden von Digital Health Startups

04 Entwickeln Innovation Forschung Marketing Strategie Start-ups Leistungerbringer Spitäler Digital Health: Innovationen und Trends Organisationsentwicklung und die Rolle von Holokratie

In dieser Episode stellen Alfred Angerer und Stefan Lienhard die Herausforderungen für Digital Health Startups dar. Zu Gast ist Jonathan Meier. Der Softwareentwickler hat nach seinem Studium zur Medizininformatik sein eigenes Startup gegründet. Die Firma hatte das Ziel, eine End zu End Software zu entwickeln, welchen den Patienten und den Anbietern des Gesundheitswesens einen sicheren Kommunikationskanal bietet. Jonathan berichtet über seinen steinigen Weg zum Erfolg und Stefan gibt Tipps wie man als Startup einen Zugang zu den Entscheidungsträgern im Spital bekommt. ​​​​Hier gehts zum Blogbeitrag

Fragen und Antworten

Jonathan Meier stellt sich und seine Person kurz vor. Er ist Softwareentwickler und Quereinsteiger im Gesundheitswesen. In seinem Masterstudium hat er Medizininformatik studiert und im Jahr 2018 sein eigenes Startup healthinal GmbH gegründet. Ziel des Startups ist es zeitgemässe Software ins Gesundheitswesen zu implementieren. Dabei werden bestehende Produkte von Kunden evaluiert und Digitalisierungsstrategien optimiert. Healthinal entwickelt aufgrund des direkten IT-Hintergrundes jedoch auch neue Lösungen im web-, app- und cloudbasierten Bereich. Zu Beginn verfolgte das Startup das Ziel eine End-zu-End Software zu entwickeln, die einen sicheren Kommunikationskanal zwischen Patientenschaft und unterschiedlichen Anbietern des Gesundheitswesens ermöglichen sollten.

Jonathan Meier berichtet darüber, dass das grösste Problem des Unternehmens die Identifikation eines passenden Geschäftsbereiches war.

Das Gründungsteam von healthinal besitzt ursprünglich keinen direkten medizinischen, sondern einen IT-Hintergrund. Ohne den direkten Bezug zum Gesundheitswesen und dessen Hintergründe wurde es zur Herausforderung Optimierungspotentiale zu identifizieren und darauf basierend mögliche Lösungsstrategien zu entwickeln. Demnach brachte die Ungewissheit hinsichtlich medizinischer und struktureller Hintergründe die meisten Herausforderungen mit sich. Der Gründer von healthinal berichtet jedoch darüber, dass das fehlende Know-how durch eigene Analysen und v.a. die Zusammenarbeit mit anderen Akteurinnen und Akteuren eingeholt werden kann und sollte.

Jonathan Meier berichtet darüber, dass es ineffizient ist, wenn zuerst digitale Lösungen entwickelt werden, deren tatsächliche Nutzung und Funktion jedoch noch unklar ist.  So wurde in der Gründungsgeschichte von healthinal zu Beginn erst ein minimal viable Product (= MVP) entwickelt, welches mittels End-zu-End Verschlüsselung einen sicheren Kommunikationskanal zwischen Patientenschaft und Anbietern des Gesundheitswesens ermöglichen sollte. Ein MVP bezeichnet die kleinstmögliche Lösung für ein Problem

Jonathan Meier berichtet darüber, dass er die ersten Schritte seiner Unternehmensgründung in dieser Form nicht wiederholen würde. Vorerst war unklar, welches explizite Problem mithilfe der eigenen Software gelöst werden soll. Zudem war die praktische Relevanz einer appbasierten Lösung längst noch nicht ausreichend geklärt. Demnach sollte zu Beginn ein detaillierter Business Case ausgearbeitet werden, um die praktische Relevanz der eigenen Unternehmung herauszustellen. Besonders das „Schmerzpotential“, welches ein Problem verursacht sollte herausgearbeitet werden, da dieses ausschlaggebend dafür ist, ob eine kostenpflichtige Lösung von der potentiellen Kundschaft als sinnvoll und praktikabel erachtet wird.

Ein weiteres grosses Learning ist die Aufstellung eines möglichst diversen Teams. Auf diese Weise können Business Cases umgreifend analysiert und bearbeiten werden, wenn diese profitabel erscheinen.

Jonathan Meier berichtet zudem von dem bekannten Hühnerei-Problem:

Als reines Tech-Unternehmen war healthinal auf den Input von den Akteurinnen und Akteuren des Gesundheitswesens angewiesen. Erst auf Basis solcher Inputs, die Optimierungspotentiale und somit auch Business Cases entlarven, können erfolgreiche Lösungen entwickelt und bei der Kundschaft präsentiert werden. Eine weitere Herausforderung bei der Entwicklung eines gelungenen Produktes ist v.a. die Heterogenität der Wünsche bzgl. Anforderungen und Lösungspotentiale. Die grosse Crux in dieser Situation ist, dass viele Akteurinnen und Akteure im Gesundheitswesen solche Informationen nur selten offenkundig preisgeben.

Stefan Lienhard gibt zudem Auskunft darüber, dass MVPs oftmals für Kunden ein integraler Bestandteil sind, um nachvollziehen zu können, welches Problem auf welche Weise angegangen werden kann bzw. soll.

Alfred Angerer berichtet davon, dass oftmals ein Konflikt bei der Beurteilung der Lösung durch die Kundschaft besteht. Die Kundschaft kann die Qualität einer Lösung teilweise nicht ganz beurteilen, da die Messbarkeit teilweise fragwürdig und aufgrund von Informationsasymmetrien schwer bewertbar ist. Daher ist oftmals auch fragwürdig, ob Investitionen und hohe Preise dem entsprechenden Geldwert entsprechen.

Jonathan Meier bestätigt Angerers These. Hochkomplexe Lösungen für Laien zu erklären erscheint teilweise schwer. Daraus resultiert zum Teil auch das Problem für Startups, dass Investitionen und Käufe ausbleiben.

Stefan Lienhard ist der Auffassung, dass aus Sicht der Klinik zuerst eine Management Awareness bzgl. der Potentiale von Startups geschaffen werden muss. Ein pragmatisches Startup Screening hinsichtlich Reifegrad, Nutzen und Potential kann diesbezüglich ein gutes Fundament darstellen.

Stefan Lienhard kann sich vorstellen, dass sich die Schulthess Klinik in Zukunft auch an Startups im Gesundheitswesen beteiligt, oder diese zum Teil kauft. Er berichtet von Beispielen anderer Player, die dies in der Praxis umsetzen. Zudem ist er der Auffassung, dass das Thema in der Direktion des eigenen Unternehmens zunehmend thematisiert werden sollte, um die Digitalisierung im Gesundheitswesen weiter voranzutreiben.

Stefan Lienhard berichtet zudem davon, dass eine Herausforderung für Startups der Umstand ist, dass Akteurinnen und Akteure kein Geld investieren wollen, da sie ihre Kernaufgabe nicht in der Software-Entwicklung sehen. Ohne die entsprechende Beteiligung bleibt die Innovation jedoch genau an den Stellen aus, wo sie eigentlich benötigt wird. Der Grossteil der Kliniken und Spitäler neigt dazu in aktuell bekannte und nicht zukünftige Geschäftsfelder und Potentiale zu investieren. Er verspürt jedoch, dass ein Umdenken stattfindet.

Alfred Angerer berichtet aus eigener Erfahrung, dass viele Startups von der Idee bis zum Einsatz der digitalen Lösung ca. zwei Jahre benötigen. Jonathan Meier empfindet es als Herausforderung für Startups passende Investoren im Gesundheitswesen zu finden, da v.a. Spitäler grosse Systeme sind, die Zeit zur Entscheidungsfindung benötigen. Auch die Bereitschaft zu investieren ist grundlegend eher geringer, was in der kurzlebigen Startup-Phase eine Herausforderung darstellt.

Infolge der Startschwierigkeiten hat healthinal versucht verschiedene Zielgruppen anzusprechen. Daraus sind unterschiedliche Learning entstanden. So beispielsweise die Erkenntnis über das geringe Interesse vieler Hausärzte, die eigenen Prozesse zu optimieren. Eine Key Message ist, dass pro Zielgruppe kritisch eruiert werden muss, wie hoch die praktische Relevanz und der Nutzen der neuen Lösung ist.

Ein grundlegendes Problem ist, dass es eine relativ grosse Startup Landschaft (>150 Stück) in der Schweiz gibt. Die Konkurrenz ist folglich sehr hoch. Stefan Lienhard berichtet darüber, dass in vielen Unternehmen noch nicht das Bewusstsein für die Unterstützungspotentiale durch Startups besteht. In der Praxis sollten der Aufbau eines Netzwerks und der regelmässige Austausch zwischen Startups und Akteurinnen und Akteuren im Gesundheitswesen einen höheren Stellenwert bekommen. Dies kann in Zukunft von hoher Relevanz sein.

Stefan Lienhard berichtet darüber, dass er persönlich versucht einen regelmässigen Austausch mit Startups zu halten und diese hinsichtlich ihrer Entwicklung analysiert. Vereinzelt präsentiert er der Direktionsleitung einzelne Startups, die einen Nutzen für das eigene Unternehmen besitzen. Als besonders hilfreich erachtet er hier Inputs der Startups, welche in kurzer und prägnanter Form zu verstehen geben, wie die Lösung des Startups funktioniert. Auch greifbare Informationen, wie z.B. Mockups o.ä. sind sehr willkommen. Das Motto „Zeit ist Geld“ gilt umgreifend und insbesondere bei der Direktionsleitung.

Nach dem Pull-Prinzip zu arbeiten bedeutet für healthinal, dass eine viel engere Zusammenarbeit mit den Akteurinnen und Akteuren und der Kundschaft im Gesundheitswesen stattfindet. Der Austausch wird benötigt, damit passgenaue und günstige Lösungen auf die einzelnen Kundinnen und Kunden zugeschnitten werden können. Das Gesundheitsfachpersonal weiss hingegen meist besser als ein kleines Tech-Startup, welche Lösung an welcher Stelle und in welcher Form benötigt wird. Startups sollten daher gut analysieren, an welcher Stelle ein Mehrwert geschaffen werden kann und dort Fuss fassen.

Stefan Lienhard untermauert die Relevanz der fachstellenübergreifenden Zusammenarbeit im Kontext der Digitalisierung und Optimierung.

Angerer, Lienhard und Meier sind sich einig hinsichtlich der Aussage:

„Das Gesundheitswesen befindet sich im digitalen Steinzeitalter“

Um ein Produkt erfolgreich aufzustellen und zu verkaufen wird ein grundlegendes Bedürfnis benötigt. Das Gesundheitswesen ist ein unglaublich komplexer Markt hinsichtlich der Strukturen und Prozesse. Im Startup muss diesbezüglich ein grundlegendes Verständnis herrschen, um passende Lösungen und Cases entwickeln zu können.

Stefan Lienhard stellt erneut heraus, dass v.a. kurze und prägnante Inputs mit konkret ausgearbeiteten Business Cases und greifbaren Beispielen (z.B. Mockups) und Lösungen bei der Auswahl von Startups durch z.B. Kliniken sehr hilfreich sind.

Jonathan Meier gibt Auskunft darüber, dass healthinal aktuell gut funktioniert und einen Mehrwert schafft. Wie bei vielen anderen Startups besteht jedoch noch weiteres Potential. Die zukünftigen Entwicklungen bleiben spannend.

Startups im Gesundheitswesen benötigen viel Elan und Detailverliebtheit bzgl. der Lösungen, da das Gesundheitswesen sehr komplex ist. Im Gesundheitswesen reich zu werden erachtet er als schwer. Unternehmer brauchen den Drive etwas ändern zu wollen, viel Know-how, und ein sehr diverses Team, um die Komplexität zu reduzieren, Systeme zu verstehen und auch wirtschaftlich effizient zu arbeiten.

Startups sollten sich gut auf Termine bei der potentiellen Kundschaft vorbereiten, um zum richtigen Zeitpunkt glänzen zu können. Wie in einem Bewerbungsgespräch, sollte man sich mit dem Unternehmen der Kundschaft vertraut machen. Wie schon erwähnt, werden v.a. kurze und prägnante Inputs mit konkret ausgearbeiteten Business Cases und greifbaren Beispielen (z.B. Mockups) und Lösungen bei der Auswahl von Startups durch z.B. Kliniken als hilfreich angesehen.  

Alfred Angerers Meinung nach ist es wichtig zu wissen, wie es um die Budgetierung der Kundschaft aussieht.

Sich von Rückschlägen und ersten schlechten Erfahrungen einschüchtern lassen.

Startups sollten sich nicht von dem geringen Tempo («grosse Tanker») und dem geringen Know-how von Spitälern bzgl. der Digitalisierung einschüchtern lassen. Hier besteht viel Potential tätig zu werden. Auch entwickeln viele Spitäler allmählich ein gewisses Mass an Sensibilität hinsichtlich der Relevanz der Digitalisierung.

Der Benefit der Lösung sollte klar für den einzelnen Kunden herausgearbeitet und nicht nur global auf das gesamte Gesundheitswesen herausgestellt werden.

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