Andre Gerber kommt aus der Gesundheits- und Pharmabranche und ist Präsident der Firma Doc.coach. Unterstützung in der Kommunikation erhält er von Sophia le Grelle, welche schon seit über 10 Jahren im Gesundheitswesen arbeitet. Gemeinsam mit Alfred Angerer sprechen sie über ihr Startup, womit sie Arzt und Apotheke vor Ort unterstützen wollen. Dafür nutzen sie ein multimodales Netzwerk aus analogen und digitalen Instrumenten, um die Prognose, Diagnose und Therapie der Patienten zu verbessern.
Fragen und Antworten
Sophia le Grelle stellt sich als Kommunikationsverantwortliche bei Doc.Coach vor und berichtet von Ihrer Leidenschaft für die Themen Gesundheit und Kommunikation.
Andre Gerber stellt sich als CEO der Firma Doc.Coach vor. Er gibt einen kurzen Exkurs in seine vergangenen Tätigkeiten in der Pharmaindustrie, sowie im Präventionssektor des Gesundheitswesens.
Doc.Coach verfolgt das Ziel die Ärzteschaft und Apotheken besser zu verknüpfen und über digitale und analoge Konzepte in der jeweiligen Dienstleistung vor Ort zu stärken. Über eine Plattform soll ein multimodales Netzwerk aus analogen und digitalen Instrumenten geschaffen werden, um die Prognose, Diagnose und Therapie der Patientinnen und Patienten zu verbessern.
Andre Gerber berichtet darüber, dass er vor Jahren zusammen mit seinem Neffen ein Meta-Coach-Konzept zum Thema «lebensstilinduzierte Erkrankungen – metabolisches Syndrom» erarbeitete. Auf Basis des Konzeptes plante er einen digitalen Meta-Coach zur Vernetzung von Gesundheitsakteuren aufzubauen, um eine breite Daten- und Wissensbasis für unterschiedliche Krankheiten zu schaffen. Mithilfe dieser Plattform sollte eine zukünftige Basis für Interventionsmodelle gelegt werden. Andre Gerber berichtet zudem vom Problem, bei der Suche nach Investoren, um das fehlende Know-How aus dem IT-Bereich einzukaufen.
Doc.Coach verfolgt grundlegend das Ziel die Ärzteschaft und Apotheken besser mit ihrer Kundschaft zu vernetzen und deren Beziehungen zu stärken.
Als Ausgangsbasis für dieses Ziel spricht er die Veränderungstrends im Gesundheitswesen an. Das Berufsbild von Ärztinnen und Ärzten und Apothekerinnen und Apothekern befindet sich in einer Transformation. Dabei bringt er explizit die Beispiele der Telemedizin und der Versandhausapotheken an. Ausserdem bringt die Patientenschaft mittlerweile eine andere Erwartungshaltung ggü. den Therapeutinnen und Therapeuten mit und wird durch die Digitalisierung und die damit bestehende Informationsverfügbarkeit mündiger.
Daher ist er der Auffassung, dass «Die Medizin von morgen eine zuhörende und sprechende Medizin» ist.
Doc.Coach legte gleich zu Beginn den Fokus auf das Reputations- und Beziehungsmanagement und stellte sich die Frage, wie es weiterhin gelingt der Kundschaft mit dem Gesundheitsexperten zu verbinden und deren Beziehung zu stärken. Dabei verfolgt Doc.Coach das Credo:
«Es muss morgen auch noch Gründe geben, warum Menschen noch zum Arzt oder zum Apotheker gehen»
Andre Gerber berichtet darüber, dass Doc.Coach zuerst selber in sich investieren musste, bevor weitere Investoren gefunden werden konnten.
Er berichtet hier von dem ersten Used Case des «Antibiotika Coach». Dieser wurde zu einem Zeitpunkt entwickelt, als das Thema der Multiresistenzen bei Antibiotika von der WHO, den deutschen, aber auch den schweizerischen Gesundheitsinstitutionen als hochrelevant angesehen wurde. Der Antibiotika Coach kann von Apotheken und Ärztinnen und Ärzten in der Therapie genutzt werden, um einen richtigen Umgang mit Antibiotika zu fördern. Derzeit wird der Antibiotika Coach in über 300 Apotheken genutzt.
Er plädiert darauf, dass ein vorangegangener Dialog zwischen Gesundheitsfachperson und Patientenschaft einen enormen Effekt auf die Compliance und Adherence des Nutzungsverhaltens von digitalen Gesundheitslösungen besitzen kann. Im Fall des Antibiotika Coaches kann von einer 7-Mal höheren Compliance der Patientenschaft gesprochen werden, wenn diese durch eine Gesundheitsfachperson empfohlen wurde.
Die grundsätzliche Haltung ggü. den Gesundheitsfachpersonen war, dass diese zunächst keine Kosten zu tragen haben, obwohl die Doc.Coach App neben Medikations- und Therapiemanagement weitere nützliche Funktionen für die Apotheken bereitstellte.
Auch für das Kundensegment war die Nutzung der App kostenfrei. Dementsprechend erfolgte die Finanzierung v.a. über Education-Grant (Bildungszuschüsse) und Sponsorings von Pharmafirmen und Apotheken.
Andre Gerber berichtet davon, dass es eine Gradwanderung ist, die eigenen Produkte vorerst kostenlos anzubieten. Jedoch sieht er es als potentiell hilfreich an, auf diesem Wege erstmals einen «Fuß in die Türe» bei unterschiedlichen Gesundheitsfachpersonen zu bekommen. Diese Art des Selbstmarketings und der damit verbundene Aufbau eines Netzwerkes dient wiederum als förderlicher Faktor bei der weiteren, dann finanziell lukrativen Produktdiversifizierung.
Alfred Angerer hebt hier noch einmal hervor, dass der Zeitraum ganz klar als Investitionszeitraum angesehen werden kann.
Die Investoren konnten definitiv als Freunde angesehen werden, da sie das Potential von Doc.Coach erkannt haben. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Gesundheitsmarkt enormes Entwicklungspotential – auch hinsichtlich der Digitalisierung – besass und sich eine Vielzahl von Veränderungen und Innovationen abzeichneten. Investoren haben Andre Gerber oftmals signalisiert, dass dies die richtige Idee auf dem richtigen Markt war, auch wenn die gewünschten Investitionen vorerst ausblieben.
Aus Andre Gerbers Sicht ist das wichtigste Learning der vergangenen fünf Jahre, dass „der User entscheidet, wie eine Anwendung gedacht werden muss“. Für eine erfolgreiche Applikation bedarf es einer User Journey, die im Dialog mit den Nutzenden und anderen Stakeholdern durchgespielt werden muss. Es ist von zentraler Bedeutung, welchen Anforderungen eine neue Lösung gerecht werden muss. Hierbei bringt er folgenden Satz an:
„Es geht nicht darum rauszugehen und neue Antworten zu bringen. Es geht darum rauszugehen und die richtigen Fragen zu stellen.“
Am Ende ist es ausschlaggebend, welche Fähigkeiten eine Anwendung für Userinnen und User besitzt, sodass diese letztendlich bereit sind diese Anwendung für die eigenen Zwecke zu nutzen. Den kontinuierlichen Austausch mit Nutzergruppen erachtet er als fundamental.
Andre Gerber ist der Meinung, dass man zu Beginn einen „Nordstern“ seiner eigenen Unternehmung – also die eigene Mission und Vision – festlegen muss. Seiner Erfahrung nach muss ein Unternehmen dennoch agil sein und auf Änderungen reagieren und nach dem Prinzip „trial and error“ agieren können. Trotzdem darf ein Unternehmen die eigene Mission und Vision nicht aus den Augen verlieren.
Andre Gerber berichtet davon, dass Doc.Coach immer wieder vor neuen Herausforderungen stand und auch steht. Diese führen immer wieder dazu, dass die eigenen Entscheidungen überdacht werden.
Er ist der Auffassung, dass Unternehmen Mut und eine Kultur des Scheiterns benötigen um weiter voran zu kommen. Ganz nach dem Motto «Scheitern gehört dazu» muss die optimale Lösung gefunden werden – die einzig wahre Lösung existiert dabei nicht.
Andre Gerber würde von Anfang an eine noch klarere Position auf dem Markt einnehmen. Dabei würde er von einem kleineren Business-Case – in dem die ersten Kompetenzen gesammelt wurden - ausgehend das eigene Angebotsportfolio erweitern.
Seiner Meinung nach hätte er noch früher in den direkten Dialog mit allen relevanten Stakeholdern und den Userinnen und Usern gehen sollen, um herauszustellen, welche Themen wirklich relevant sind.
Er empfindet Offenheit und mehr Kommunikation mit den, für die eigene Unternehmung wichtigen, Akteurinnen und Akteuren als äußerst relevant. Andre Gerber berichtet davon, dass dieser direkte Austausch dabei helfen kann einen klareren Unternehmensfokus zu finden. Bildlich spricht er hier von einer Unternehmensausrichtung im Sinne eines «Brennglas» statt einer «Giesskanne».
Stephanie le Grelle gibt Auskunft darüber, dass viele Erkenntnisse in der trial and error Phase, die noch vor Stephanies Zeit bei Doc.Coach stattfand, gewonnen werden konnten. Durch diese Erfahrungen konnte der Unternehmensfokus geschärft werden.
Zudem berichtet sie davon, dass der Unternehmensfokus aktuell und in den folgenden Jahren auf dem Thema ADHS liegt. Innerhalb dieses Themengebietes besitzt Doc.Coach ein sehr breites Netzwerk von Expertinnen und Experten, Pädagoginnen und Pädagogen, Therapeutinnen und Therapeuten, Betroffenen und sog. „Key Opinion Leaders“, die in den Entwicklungsprozess miteinbezogen werden.
Sophia le Grelle berichtet zudem darüber, dass die sog. „Key Opinion Leaders“ teilweise die eigenen Expertennetzwerke zur Verfügung stellen, wodurch ein Mehr an Kommunikation und Informationen geschaffen werden kann.
Sophia le Grelle bestätigt Alfred Angerers These, dass es im Falle der Apotheken eher weniger Opinion Leaders gibt. Demnach nimmt der Aufbau eines eigenen Netzwerkes im Apothekenbereich eine höhere Relevanz ein.
Doc.Coach möchte grundlegend Analoges mit Digitalem verbinden und zukünftig eine eigene Online-Community aufbauen, die eine Bewegung schaffen soll.
Sophia le Grelle gibt Auskunft darüber, dass derzeit Vorbereitungen der Kommunikationsausrichtung laufen, um eine Community v.a. über Facebook und Instagram aufzubauen und anzusprechen.
Sophia le Grelle berichtet darüber, dass insbesondere das eigene Netzwerk zum Aufbau von Beziehungen zu «analogen Patienten» genutzt wird. Dabei erachtet sie die Vielfältigkeit der eigenen Kontakte in die Wissenschaft, zu Elterngruppen, zu Behörden und anderen Instanzen als extrem vorteilhaft. Auch berichtet sie davon, dass das ADHS Projekt von Doc.Coach aufgrund des hohen Leidensdrucks durchweg positiv bei den unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren ankommt.
Andre Gerber gibt in einem kurzen Zwischeneinschub preis, dass für ihn, bzw. die Unternehmung von Doc.Coach «Kommunikation und Klarheit alles ist». Das Ziel sei nicht die Welt neu zu erfinden, sondern alle Stakeholder an einen Tisch zu holen und mit diesen zusammen strukturiert Lösungen zu finden. Dies sind ausschlaggebende Erfolgsfaktoren für Startups.
Zudem gibt er die Antwort, dass der Benefit von Doc.Coach in dem dahinterstehenden Expertennetzwerk liegt. Dabei verfolgt Doc.Coach das Ziel Betroffene und Angehörige schnellstmöglich mit entsprechenden Informations- oder Therapiestellen zu vernetzen. Dabei soll es irrelevant sein, über welche Stelle es zu einem Erstkontakt kommt.
Andre Gerber gibt an, dass v.a. die Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen ausschlaggebend für einen Business Case sind. Dabei kommt er auf das Digitale-Versorgungs-Gesetz (DVG) zu sprechen, welches im Jahr 2019 vom deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn verabschiedet wurde. Dieses Gesetz regelt, dass im deutschen Gesundheitswesen Apps auf Rezept verschrieben werden können. Sobald eine App auf medikamentöser- oder digitaler Interventionsebene wirksam ist, kann diese von Krankenkassen vergütet werden, wodurch die Digitalisierung weiter vorangetrieben wird. Mit diesem Vorgehen nimmt Deutschland eine weltweite Vorreiterrolle ein.
Doc.Coach ist zudem dabei auch in anderen europäischen Ländern und in der Schweiz entsprechende Expertennetzwerke aufzubauen. Er glaubt, dass sich andere Länder an der Idee der App auf Rezept, sofern dies erfolgreich sein wird, ein positives Beispiel nehmen werden.
Der Antibiotika Coach wurde in Zusammenarbeit mit einer Agentur, die Erfahrungen auf dem deutschen Gesundheitsmarkt vorzuweisen hatte, entwickelt. Doc.Coach besitzt jedoch die Ambitionen die eigenen Kompetenzen auszubauen, weshalb es inzwischen ein eigenes digitales Team im Hause von Doc.Coach gibt. Dabei steht Andre Gerber dem externen Input jedoch sehr offen gegenüber und sieht diesen als Innovationspotential und Treiber an.
Andre Gerber bestätigt, dass er die geringe Geschwindigkeit in der Entwicklung von Apps als zunehmende Herausforderung wahrnimmt. Durch die Zusammenarbeit mit grossen und eher trägen Stakeholdern nimmt meist jedoch die Agilität und Geschwindigkeit der eigenen Unternehmung ab. Diese Stakeholder müssen jedoch abgeholt und in den Prozess miteinbezogen werden, um erfolgreiche Lösungen aufzustellen. Somit nimmt die Prozessgeschwindigkeit der Stakeholder zu, wohingegen die Geschwindigkeit des Startups abnimmt. Andre Gerber hebt jedoch positiv hervor, dass inzwischen ein hohes Bewusstsein über die Digitalisierung besteht und dass die Geschwindigkeit auch von den finanziellen Ressourcen eines Unternehmens abhängt.
Andre Gerber antwortet, dass der Schweizer Gesundheitsmarkt seiner Meinung nach kein dankbarer Markt für Digital Health Lösungen ist. Dies schlussfolgert er aus einer persönlich eher gering wahrgenommenen Risikobereitschaft im schweizerischen Gesundheitswesen. Zudem nimmt er den Schweizer Gesundheitsmarkt als grössentechnisch begrenzt wahr. Aus Investorensicht könnte hier weniger Wachstumspotential als z.B. im deutschen, oder europäischem Markt existieren, wodurch internationale Investoren eher fernbleiben.
Der Föderalismus bzw. der Kantönligeist bringt Herausforderungen hinsichtlich der Digitalisierung im Schweizer Gesundheitswesen mit sich. Grundlegend sollte der Schweizer Bund mit politischen Massnahmen reagieren, um attraktive Bedingungen für Digital Health Startups zu schaffen. Hier verweist Andre Gerber darauf, dass bspw. deutsche Krankenkassen gesetzlich dazu motiviert und befähigt werden in Startups zu investieren, um neue Innovationspotentiale zu schaffen. Die Schweizer Politik benötigt seiner Auffassung nach Visionäre, die einen «Nordstern» mit einem gewissen Mass an Risikobereitschaft und Pioniergeist verfolgen, um das Gesundheitswesen und dessen Entwicklung in Einklang mit neuen Startups voranzubringen. Er bekräftigt zudem, dass der Digital Health Markt ein, sich sehr schnell entwickelnder Markt ist.
Andre Gerber formuliert die These, dass es in der Bevölkerung zu mehr Offenheit für neue Interventionen und zu einer höheren Verantwortungsübernahme ggü. den Gesundheitsfachpersonen kommen wird. Zukünftig wird von den Anbieterinnen und Anbietern im Gesundheitswesen gefordert, dass diese sich zum Wohl der Patientenschaft verbessern und individualisierte, anstelle von generalisierten Lösungen anbieten.
Sophia le Grelle wünscht sich mehr Selbstvertrauen und mehr Risikobereitschaft von den Akteurinnen und Akteuren im Gesundheitswesen beim Verfolgen der eigenen Vision.
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