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Florian Liberatore – Das Weihnachtsspecial mit 4 BWL-Hypothesen auf dem Prüfstand

57 Leisten Kompetenzen Ressourcen Lean Prozesse Einkauf Produktion (Leistungserstellung) Leistungerbringer Spitex Alters- und Pflegeheime Rehaeinrichtungen Arztpraxen Spitäler Management im Gesundheitswesen Value based Healthcare

Und wieder ist es Zeit für ein Special und wie bereits im Sommer und im vergangenen Jahr lädt Alfred Angerer in dieser Weihnachtsepisode ein Mitglied aus seinem Team «Management im Gesundheitswesen» ein (das Sie bereits schon kennen sollten). Florian Liberatore ist nicht nur sein Büronachbar und stellvertretender Teamleiter, sondern genau wie Alfred (wie er es nennt) «BWLer mit Herz» und Jünger (also Co-Autor) im neuen Buch «New Healthcare Management», welches Alfred in diesem Jahr herausgegeben hat.
Zusammen wagen die beiden einen Jahresrückblick auf die Projekte im Team und erörtern zudem passende Hypothesen, die Florian aufstellt, um seine Perspektive auf das Management im Gesundheitswesen des letzten Jahres zu untermauern.

  1. «Community Im Wandel: Vom Kostendenken zum Value-Denken»
  2. «Methodenvielfalt: Mehr qualitativ und mehr zahlenlastig – k(ein Widerspruch)»
  3. «Aus Auftragsgebersicht: Mitarbeitende sind gerade mehr im Fokus als PatientInnen»
  4. «Es gibt immer noch etwas von anderen Branchen zu lernen fürs Management im Gesundheitswesen»

 

Hören Sie in dieses Special und erfahren Sie, was sich hinter diesen spannenden Hypothesen verbirgt und mit welchen vielseitigen Projekten ihrer täglichen Arbeit die beiden BWLer mit Herz diese verknüpfen.

Fragen und Antworten

Florian Liberatore beschreibt sich als ein BWLer mit Herz und Jünger im neuen Buch "New Healthcare Management"

Typischerweise reflektiert man jeweils am Ende des Jahres, was man gemacht hat und was noch vor einem steht. Florian Liberatore reflektiert nicht nur sich selbst gerne, sondern wendet dies auch in seinen Vorlesungen an: Was macht der BWLer und was soll er im Gesundheitswesen überhaupt? Dabei sind ihm interessante Entwicklungen aufgefallen, die Gesprächsstoff bringen. Beispielsweise was hat sich verändert und wie geht man damit um?

Florian Liberatore lässt diese Fragen in seiner Vorlesung lange unbeantwortet. Meist ist es so, dass die Teilnehmenden am Ende sagen, dass es den BWLer braucht und die Frage somit selbst beantworten. Dann hat er sein Vorlesungsziel erreicht.   

Im Gesundheitswesen kennt man den BWL-Beruf in Verbindung mit Kosten, Analysen oder Einsparungen. Und da stellt sich beim Fachpersonal schnell die Frage nach Qualitätseinbussen mittels BWL-Massnahmen, die im Gesundheitswesen getroffen werden. Florian Liberatore meint, dass an dieser Befürchtung was dran ist. Trotzdem liegt der Fokus heute mehr auf Qualität und Value, statt auf den Kosten, was aus BWL-Sicht neue Herausforderungen schafft.

Florian Liberatore ist aktuell in ein Projekt involviert, welches sich mit task shifts wie die Rolle der advanced practice nurse, beschäftigt. Das sei ein schönes Beispiel, warum Kosteneffekte keine Relevanz haben. Denn diese neuen Rollen bringen keine Kosteneinsparungen. Aber sie sorgen für Opportunitäten, indem Ärztinnen und Ärzte mehr Zeit für anderes haben. Zudem haben diese Rollen positive Qualitätseffekte. Die Verbesserung der Qualität sorgt indirekt für Kosteneinsparungen – wie beispielsweise mittels Vermeidung von Rehospitalisationen. Dies kann mittels Total cost of ownership bestätigt werden, indem direkte und indirekte Effekte eines Spitals angeschaut werden anhand eines Kennzahlensystems. Dabei kann es zu überraschenden Ergebnissen kommen. Und wenn weniger Kosten und mehr Qualität erreicht werden, ist man im Ziel angekommen.

Value based healthcare ist in der Schweiz angekommen was sich in verschiedenen Bereichen zeigt. Auch in Spitälern besteht das Interesse dies einzuführen. Ein Grund sei, dass die Kantone die PROM (patient reported outcome measures) als Qualitätsmessung vorgeben. Es scheint somit auch für die Betriebswirtschaft im Gesundheitswesen immer wichtiger zu werden. Dabei müssen Faktoren wie Investition in die Implementation von Messungen, Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten und Rückmeldungen zu Lebensqualität berücksichtigt werden. Die noch unbeantwortete Frage sei laut Florian Liberatore: Was bedeutet das für die Betriebswirtschaft? Gibt es nicht nur für Patientinnen und Patienten Erfolg, sondern auch aus finanzieller Sicht? Im Projekt wird aktuell erkenntlich, dass sich einerseits der Prozessaufwand erhöht und andererseits die positiven Rückmeldungen der Fachpersonen und Patientinnen und Patienten zu einer verbesserten Gesprächsstruktur. Es geht um nachhaltige und qualitätsorientierte Projekte und dass man diese richtig umsetzt.  

Die laufenden Projekte machen auch mit betriebswirtschaftlichen Herausforderungen Freude, da qualitative Forschung zur Geltung kommt, aber auch Zahlen und Statistik eine wichtige Rolle spielen. Beides wird immer wichtiger und es besteht kein Widerspruch.

Best Practice bekommt eine immer grössere Rolle als Orientierungspunkt für Qualitätsverbesserung und Kostenoptimierung. Eine Möglichkeit, mit dem komplexen System Spital umzugehen ist, indem man andere Institutionen anschaut und analysiert, wie diese ihre Probleme gelöst haben. Wenn andere Institutionen gute Lösungen gefunden haben, kann es sinnvoll sein, diese zu übernehmen. Man schaut was andere machen und was ihre Erfolgsfaktoren sind. Das ist sehr qualitativ.

Als Beispiel erwähnt Florian Liberatore den Kanton Thurgau. Dort wurde die koordinierte Versorgung angeschaut und Netzwerkanalysen durchgeführt. Die Zusammenarbeit verschiedener Akteurinnen und Akteure wurde analysiert, die besonders guten Beispiele herausgefiltert und es wurde darauf genauer eingegangen. Im Bereich value based healthcare zeigte ein Report der Bertelsmannstiftung, dass sich Gesundheitsinstitutionen weltweit an best practice orientieren. Das ist eine Herausforderung für BWL Personen, da sie sehr stark mit theoretischen Konzepten und optimalen Modellen arbeiten.   

Ein weiteres best practice Beispiel erwähnt Florian Liberatore im Bereich der Qualitätsentwicklung. Es läuft eine Debatte mit der eidgenössischen Qualitätskommission, inwieweit Qualitätsmanagement bei verschiedenen Akteurinnen und Akteuren stattfinden soll. Austausch von Erfahrungen, Generierung neuer Leitlinie mit dem Ziel der ständigen Verbesserung der Qualität steht dabei im Mittelpunkt. Es ist ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess.

Es gibt einige positive Rückmeldungen wie vom Ärztenetzwerk MedX. Nächstes Jahr arbeitet ein interdisziplinäres Team an einem Projekt, um den Effekt nach den WZW (Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit) nachweisen zu können

Critical friends approach ist eine Methodik die in Richtung citizen-signs geht. Das ist eine neuartige Technik auch line-Management in Forschungsstudien mit Beobachtung und Dokumentation einzubeziehen. In dieser Methodik sind die involvierten Gruppen aktiv und nicht die Forschenden. Eine Gruppe "critical friends" führt dabei eine Tätigkeit durch und evaluiert sich anschiessend selbst. Die Forschenden stellen Support und notwenige Tools zur Verfügung und stellen am Schluss einen Evaluationsreport zusammen.  

Gerade in Bereichen, welche mit Digitalisierung und Big Data zu tun haben, sind solche Analysen oft anzutreffen. Beispielsweise arbeitet Florian Liberatore an einem Projekt, wo Temporärarbeit analysiert wird. In dieser grossen Datenbank wird angeschaut, ob es bestimmte Verläufe, Auffälligkeiten oder Charakteristika gibt. Dabei zeigt sich der Trend, dass viele Einsätze entstehen, indem die einzelnen Fachkräfte ihre Verfügbarkeit zur Verfügung stellen und dann von den Spitälern gebucht werden, anstatt, dass das Spital die Stelle ausschreibt und die Fachkraft diese dann bucht.   

Auch der Bereich Kapazitätsmanagement beschäftigt sich sehr mit Analysen und Zahlen und wird die ZHAW laut Florian Liberatore in den nächsten Jahren engmaschig begleiten. Die ZHAW hat dieses Jahr den Innosuisse-Flagship SHIFT gewonnen und wird einige Projekte in Angriff nehmen. Ein Projekt wird sich dabei auf die Personalbedarfsplanung fokussieren. Dort wird anhand von vergangen Personalbesetzungsdaten versucht, eine Prognose der Personalbesetzung zu analysieren, um Kapazitäten optimaler nutzen zu können.  

Aktuell sind Arbeitsbedingungen, Fachkräftemangel und Mitarbeitende mehr im Fokus als die Patientinnen und die Patienten im Gesundheitswesen.

Alfred Angerer ergänzt, dass in der heutigen Zeit die Mitarbeitenden mehr in den Mittelpunkt rücken müssen. Es gibt viele Bereiche, wo besser verstanden werden muss, was Mitarbeitende glücklich und effizient macht und wie das Management funktionieren soll. Im SHIFT gibt es ein Projekt, das sich mit Weiterbildung von Mitarbeitenden beschäftigt. Mittels eines Simulation Modells soll vermittelt werden, wie das Management ein Spital voranbringen kann.

In Deutschland wurde in diesem Jahr eine grosse Studie zu Karrierepräferenzen von Oberärztinnen durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass mehr Medizin, weniger Management, gute work-life-balance und Teilzeitarbeit wichtige Bedürfnisse sind. Florian Liberatore äussert, dass sich solche Tendenzen in allen Bereichen zeigen und man darauf reagieren muss. Diese Studie hat grosse Beachtung gefunden.

Ein weiteres Beispiel ist das bereits erwähnte Projekt zur Temporärarbeit von Pflegenden. Da stellt sich die Frage, ob der Fachkräftemangel mit Temporärarbeit verbessert werden kann, oder sich dieser Mangel sogar verschlimmert. Dieses Projekt läuft noch mehrere Jahre.

Ein drittes Beispiel befasst sich mit der Personalmobilisation für Impfungen der Bevölkerung während der Pandemie. Es konnten für diese Arbeit viele pensionierte Pflegekräfte mobilisiert werden. Da werden die Motive für diesen freiwilligen Einsatz analysiert mittels einer grossflächigen Befragung.

Florian Liberatore hat primär an einem Lehrstuhl in Deutschland promoviert und habilitiert mit Schwerpunkt Marketing und als Nebengebiet Gesundheitswesen. Dadurch hat er sich mit verschiedenen Branchen auseinandergesetzt. Dabei ist ihm aufgefallen, dass fremde Themen, die neu ins Gesundheitswesen auftraten, beim Fachpersonal nicht beliebt sei. Als Grund wurde beispielsweise Inkompatibilität angegeben. Florian Liberatore realisierte, dass mit genügend Anpassung und Überzeugung eine Implementierung von fremden Themen aus anderen Branchen auch im Gesundheitswesen möglich war. Dabei erwähnt er drei Beispiele aus drei unterschiedlichen Branchen: Als erstes Beispiel nennt Florian Liberatore die Implementierung des Kapazitätsmanagements aus der Luftfahrtindustrie zur Planung von Operationen. Der Schwerpunkt dieses Management basiert auf der statistischen Methode, weshalb sich diese gut ins Gesundheitswesen übertragen lässt.

Als zweites Beispiel erwähnt er die Marketingtechnik aus dem Sozialmarketing. Diese Technik sei relevant, um das Gesundheitsverhalten der Bevölkerung zu fördern und Kampagnen zu verstehen, damit Personen für eine Intervention wie beispielsweise eine Impfung überzeugt werden können. Marketing war ein wichtiger Bestandteil zur erfolgreichen Bekämpfung der Covid Pandemie.

Das Dienstleistungsmanagement wird von Florian Liberatore als drittes Beispiel erwähnt. Hier geht es um die Kundenbeteiligung an der Leistungserbringung. Mit diesem Management könnten Patientenerfahrungen stärker berücksichtigt und Patientenpfade danach ausgerichtet werden.

Florian Liberatore betont, dass aus diesen drei erwähnten Branchen viel gelernt werden kann und ein offener Umgang damit sinnvoller ist, als das Rad neu zu erfinden.

Eine Möglichkeit sei, laut Florian Liberatore, einen Podcast über Pannen, schlechte Aufnahmen oder Outtakes der vergangenen Podcastfolgen aufzunehmen, das könnte noch interessant sein.

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