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Mark Graban – Lean Healthcare früher/heute

08 Leisten Kompetenzen Lean Prozesse Entwickeln Strategie Leistungerbringer Spitäler Management im Gesundheitswesen

Marktplatz Gesundheitswesen hat internationalen Besuch. Mark Graban ist neben seiner Tätigkeit als Berater auch Buchautor und unterstützt Spitäler seit 16 Jahren zu einer Lean- Arbeitsweise. Wie Alfred kommt Mark Graban ursprünglich aus der Industrie und profitiert noch heute von diesen Erfahrungen. Er berichtet wie Lean eine zunehmende Bedeutung im Gesundheitswesen bekommen hat und welche Hürden dabei gemeistert werden müssen.

Fragen und Antworten

Mark Graban ist neben seiner Tätigkeit als Berater auch Buchautor und unterstützt Spitäler seit 16 Jahren in der Lean- Arbeitsweise. Wie Alfred, kommt auch Mark Graban ursprünglich aus der Industrie. Zudem hat Mark Graban ebenso mit Startups zusammengearbeitet und ist ein internationaler Speaker. Über sich selber gibt er Preis, dass er aktuell das erste Mal in der Schweiz ist, einen Abschluss in Industrial Engineering and Business besitzt und ein Hobbykoch mit Pizzaofen im Garten ist.

Mark Grabans Erfahrung nach wurden bereits gegen Ende der 1990er die ersten Versuche Lean in das Gesundheitswesen zu implementieren unternommen. Diesbezüglich haben in Michigan beispielsweise General Motors und Ford und in Seattle Boeing freiwillig Spitäler beraten. Im Jahr 2004 kam Mark Graban das erste Mal über eine lokale Lean-Netzwerkgruppe, mit dem Thema Lean in Spitälern in Kontakt. Entgegen seiner ursprünglichen Erwartung bemerkte er, dass Prozesse in Spitälern viel Optimierungspotential besitzen. Zu jenem Zeitpunkt bestand noch wenig Wissen über Lean im Gesundheitswesen, wodurch sich Mark Graban dazu entschloss ein Buch zu diesem Thema zu verfassen.

Mark Graban berichtet zunächst von seinem Trugschluss, dass Geschichten aus der Industrie über Leadership und Lean für Personen aus dem Gesundheitswesen interessant wären. Er glaubt, dass grundlegend viele Fehlschlüsse über die Arbeit im Produktionsgewerbe gezogen werden. Hier führt er auch die Annahme an, dass Spitäler auf keinen Fall mit Produktionsbetrieben verglichen werden können, da sich die Outputs stark unterscheiden (Patientenschaft vs. Autos). Seiner Meinung nach sollte viel mehr verstanden werden, dass Lean den Fokus auf das Personal und deren Prozesse legt. Mark Graban führt zudem an, dass man sich zunächst erarbeiten muss, dass das Gesundheitsfachpersonal einer Person aus dem Lean Management zuhört. Auch nennt er die Fehlannahme, dass Personen, die nicht in der Industrie gearbeitet haben, die Komplexität der Produktion als weitaus geringer ansehen.

Mark Grabans erste Projekte bezogen sich auf die Arbeit von Medizinlaboren innerhalb eines Spitals, die Testergebnissen ausstellten. Im Fokus lag vorerst die Optimierung des Arbeitsflusses, mit dem Ziel die benötigte Zeit des gesamten Prozesses für die Patienten- und Ärzteschaft zu reduzieren. Gleichzeitig ging es auch um die Fehlervermeidung, sodass z.B. keine Proben unterschiedlicher Personen miteinander vertauscht werden.

Alfred Angerer hebt hier hervor, dass Spitäler oftmals die Herangehensweise nutzen, Lean erst in Bereichen, die keinen direkten Patientenkontakt haben, zu testen. Auf diesem Wege kann die grundlegende Wirksamkeit von Lean positiv herausgestellt werden. Wenn sich die Methoden als effektiv bewähren, können die Lean Bestrebungen auch in patientennahen Bereichen eingeführt werden.

Mark Graban hält die Herangehensweise weiterhin für einen sinnvollen Weg, um Lean ins Spital zu implementieren. Dabei kommt er auf die Hürde zu sprechen, dass das Gesundheitsfachpersonal oftmals nicht zwingend an Lean interessiert ist. Daher kann es durchaus sinnvoll sein in anderen Bereichen mit Lean zu starten, um dem Gesundheitsfachpersonal aufzuzeigen, dass Verbesserungen folgen, die einen Nutzen für das Gesundheitsfachpersonal und die Patientenschaft mit sich bringen. Seiner Meinung nach ist es jedoch auch wichtig das Personal nicht zu zwingen Lean in die eigene Arbeit zu integrieren. Hier geht es vielmehr darum das Eigeninteresse der Mitarbeitenden zu wecken.

Zudem sieht er es als eine Stärke von Lean an, dass die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Abteilungen gestärkt und somit die Trennung (z.B. zwischen Ärzteschaft und Pflegepersonal) aufgehoben wird. Letztendlich sollte das Denken in Silos abgeschafft und das Denken im System angespornt werden.

Alfred Angerer und Mark Graban haben die Erfahrung gemacht, dass meistens das mittlere Management für die Einführung von Lean Management im Spital verantwortlich ist. Mark Grabans Auffassung nach ist es durch die Publizität möglich - wenn auch eher ungewöhnlich - dass auch die CEOs von Spitälern auf Lean aufmerksam werden.

Mark Graban nennt drei unterschiedliche Wege, um die Geschäftsleitung von Lean Management zu überzeugen:

  1. Evidenz aufzeigen
  2. Best Practices aus der Praxis aufzeigen
  3. Best Practices besuchen bzw. vor Ort anschauen

Die Problematik der Evidenz ist jedoch, dass sich Spitäler auf die Unterschiede zu den Positivbeispielen fokussieren und daher glauben, dass die Ergebnisse nicht übertragbar sind. So kann z.B. daran festgehalten werden, dass die eigenen politischen Rahmenbedingungen weniger vorteilhaft sind, oder dass das Unternehmen ein anderes Ziel besitzt.

Um dieses Problem anzugehen, können jedoch Pilotprojekte im eigenen Unternehmen aufgenommen werden. Auf diesem Wege kann dargestellt werden, wie es um die effektive Wirksamkeit und die Nutzenpotentiale steht.  

Wie zuvor erwähnt kann dabei jedoch die Annahme entstehen, dass die Übertragbarkeit zwischen unterschiedlichen Abteilungen innerhalb eines Spitals nicht anerkannt wird: „Die Arbeit im Labor entspricht nicht der Arbeit des Pflegepersonals oder der Operateure“.

Wichtig ist grundsätzlich, dass Führungskräfte benötigt werden, die an den zusätzlichen Nutzen von Lean glauben und Pilotprojekten gegenüber offen sind.

Das grundsätzliche Ziel von Lean ist es unterschiedliche, bereits erhobene Kennzahlen (z.B. Sicherheit, Qualität, Wartezeiten, Kosten, Mitarbeiterengagement etc.) zu verbessern. Lean sollte nicht seiner selbst willen, sondern aufgrund des Optimierungsgedankens betrieben werden. Demnach nimmt z.B. die Anzahl der Personen, die an Schulungen zum Thema Lean teilgenommen haben, eine eher sekundäre Rolle ein.

Neben der selten durchgeführten Erfolgsmessung erachtet Mark Graban es als ein weiteres Problem, dass die Erfolgsmessung zu simpel betrieben wird. Hier spricht er an, dass oftmals nur zwei Datenpunkte (z.B. vorher und nachher) einer Variable erhoben werden. Diese Herangehensweise ermöglicht jedoch noch längst keine Trendaussage. Er erachtet es als äusserst sinnvoll, dass mehrere Datenpunkte erhoben und analysiert werden, um klare Entwicklungen aufzeigen zu können.

Wenn nur eine geringe Anzahl an Datenpunkten erhoben wird besteht die Gefahr, dass ein zu starker Fokus auf diese, statt auf das dahinterstehende System gelegt wird. Um einen gewünschten Output zu erhalten, sollte die Optimierung eines gesamten Trends im Vordergrund stehen und nicht zwingend die Verbesserung von einzelnen, temporären Messpunkten. Da Messwerte innerhalb eines Trends jedoch auch unterschiedlich gut ausfallen können, empfiehlt Mark Graban das System des Statistical process control. Mit diesem kann nachvollzogen werden, welche statistische Signifikanz kleine Veränderungen von Messwerten im gesamten Trend besitzen. Hier klärt sich anschliessend die Frage, ob eine Veränderung nur ein Ausreisser ist, oder ob eine statistische Signifikanz vorliegt.

Mark Graban und Alfred Angerer sind sich zudem einig darüber, dass es nicht ausschlaggebend für den Erfolg ist, dass ein bereits bekanntes System richtig angewendet wird. Es ist vielmehr relevant, wie eine Organisation mit den neu gewonnenen Daten umgeht.

Mark Grabans Erfahrung nach ist es in vielen Fällen so, dass die ersten Lean Projekte bei dem Pflegepersonal angesetzt werden. Ein möglicher Grund dieser Herangehensweise ist, dass das Pflegepersonal immer beim Spital selber angestellt ist. Bei der Ärzteschaft hingegen ist dies nicht immer der Fall.   In vielen Ländern ist es zudem so, dass das Pflegepersonal für Optimierungen nach Lean bezahlt wird, wohingegen Ärzte hierfür oftmals keine Bezahlung erhalten. Grabans Meinung nach müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen für Optimierungen auf allen Ebenen geschaffen werden.

Alfred Angerer verweist zudem auf die Aussage einer Pflegerin, dass insbesondere das Pflegepersonal unter nicht standardisierten Prozessen leidet und daher ein hohes Interesse an Optimierungen nach Lean mitbringt. 

Zudem sehen beide Experten die Unternehmenskultur als massgeblich an, um Lean Management erfolgreich einzuführen.

Mark Graban ist der Meinung, dass digitale Tools immer einen weiteren Nutzen bzw. Unterstützungspotentiale mit sich bringen sollten. Diese Tools sollten verwendet werden, weil diese ein tatsächliches Problem lösen und nicht, weil diese zeitgemäss sind.

Mittlerweile wird deutlich häufiger thematisiert, dass Lean ein Management- und vor allem Kulturthema ist. Es geht nicht nur um die reine Anwendung von Tools und Methoden, die Verbesserungen mit sich bringen können. Lean entspricht einer Denkweise und einem dauerhaften Prozess, der aufgrund des Nutzenpotentials für die unterschiedlichen Stakeholder im Spital verfolgt werden sollte.

Mark Grabans Meinung nach gibt es nur zwei mögliche Stadien, in denen sich ein Unternehmen in einer Lean Transformation befinden kann:

  1. Das Unternehmen befindet sich in der Erprobungsphase
  2. Das Unternehmen hat aufgegeben und aufgehört Lean-Bestrebungen weiter zu verfolgen.

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