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Michael Döring – Der Chef schafft sich selbst ab

13 Steuern Kommunikation Mitarbeitende/Zusammenarbeit Führung Organisation/Strukturen Leistungerbringer Spitäler Organisationsentwicklung und die Rolle von Holokratie Organisation

Michael Döring ist seit 10 Jahren Departementsleiter für Pflege und Soziales am Kantonsspital Luzern. Das Buurtzorg-Modell war für Michael Döring ausschlaggebend, um seinen Mitarbeitern keine Informationen mehr vorenthaltenen zu müssen und ihnen somit mehr Verantwortung und Entscheidungsmacht zu übertragen. Gemeinsam mit Alfred Angerer spricht er darüber, wie er sein Team so umstrukturieren konnte, dass es den “Chef” letztendlich nicht mehr benötigt.

Stichworte: NewWork, Selbstführung, Laloux, Reinventing Organizations

Das Buch von Laloux kann man z.B. hier kaufen.

Fragen und Antworten

Die Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit aller Menschen sind wertvolle Güter in unserer Gesellschaft und gleichzeitig sind Organisationen in den meisten Fällen sehr hierarchisch strukturiert. Als Departementsleiter hat Herr Döring bereits vor einigen Jahren Kulturworkshops mit seinen Mitarbeitern durchgeführt, mit dem Zweck zu besprechen was funktioniert und was noch nicht gut läuft. Die Mitarbeiterschaft konnte mitbestimmen, welche Massnahme eingeleitet werden damit sie zufriedener werden und folglich ihre Arbeit besser ausführen können. Herr Döring musste aber feststellen, dass die Zufriedenheit nicht positiv beeinflusst wurde und das Themen wie Wertschätzung und Transparenz bis heute wiederholend genannt werden. Antworten darauf, wieso dieser Prozess an der Umsetzung scheiterte, fand Herr Döring im Buch von Laloux.

Diese Pyramidenstruktur leben wir bereits seit sehr langer Zeit und wir schlagen uns mit den wiederkehrenden Problemen herum. Andauernd werden neue Modelle entwickelt, die diese wiederkehrenden Probleme lösen sollten, aber ohne nachhaltigen Erfolg. Herr Döring meint, dass nachhaltige Lösungen nicht aus einer Pyramidenstruktur resultieren. Als Beispiel nennt er die globale Klimabewegung, die durch eine Vielzahl von Menschen bewegt wird und so eine hohe Dynamik erfährt.

Die Informationswege im System einer Pyramidenstruktur sind problematisch für die Geschwindigkeit der Informationsübermittlung und folglich für die Schnelligkeit bei Entscheidungen. Weiter hat diese Struktur ein grosses Potential für Fehlentscheidungen. Werden Probleme in einer Abteilung festgestellt, müssen sie über mehrere Hierarchiestufen bis hin zum Manager kommuniziert werden. Da die Entscheidungsträger die Probleme der unteren Abteilungen nicht verinnerlicht haben, müssen Rückfragen gestellt werden oder sie halten davon ab und entscheiden nach eigenem Ermessen. Daraus resultiert, dass eine Lösung eines Problems für ein untergeordnetes Team sich um Jahre verzögern kann.

Herr Döring hat ein aktuelles Beispiel vom Kantonsspital Luzern zum Thema Pflegenotstand. In den obersten Pflegegremien wurde darüber diskutiert was Lösungsansätze sein könnten. Mit Freude hat Herr Dörig festgestellt, dass die Pflegedienstleitenden ihre Teams mit einbezogen haben, um die Probleme dort zu lösen, wo sie entstehen.

Eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit führt dazu, dass sie ihre Arbeit besser erledigen, sie sind effizienter, das Arbeitsklima ist besser und sie tragen positive Werbung nach aussen. Mitarbeiter, die mitentscheiden können, ihre Probleme selbst lösen können und dürfen, sind deutlich zufriedener und demensprechend motivierter.

Herr Döring konnte darin eine Organisationsform erkennen, die näher an seinem persönlichen Menschenbild ist. Aber auch das Verständnis, dass der Mensch als Individuum im privaten Umfeld Verantwortung übernimmt und auch ständig Entscheidungen trifft. Im Unternehmen macht es den Anschein, als ob Mitarbeiter diese Verantwortung nicht übernehmen und Entscheidungen nicht selbst treffen können.

Herr Döring möchte, dass seine Mitarbeiter kreativ und aktiv werden und ihre Möglichkeiten nutzen, die sie besitzen.  Das eine ist das Verständnis des Menschenbilds zu verändern. Dazu hat Herr Döring und sein Team in einem Experiment ein Entscheidungsprozess kreiert und ein Konfliktlösungsprozess aufgebaut. Auf diesen zwei Säulen basiert schlussendlich das ganze System.

Herr Döring hat ein Team, das heisst Prozessoptimierung und Support und die Departementsleitung und deren Assistenz, das sind 12 Personen. Das Experiment wurde im Oktober 2018 gestartet. Ursprünglich wollte Herr Döring Selbstführung Schritt für Schritt im Departement einführen. Zur gleichen Zeit beschloss die Führungskraft des Teams Prozessoptimierung das Unternehmen zu verlassen und so standen Herr Döring und seine Mitarbeiter vor einer neuen Herausforderung. Herr Döring beschloss die Position nicht zu ersetzen und gab dem Team eine zweiwöchige Entscheidungsfrist, ob das Experiment durchgeführt werden sollte.

Für Herr Döring bedeutet Selbstführung die Verantwortung für Themen in die Teams heranzutragen und denen zu übergeben, die ein hohes Interesse an diesen Themen haben.

Man muss differenzieren zwischen Rollen und Themen. Rollen sind Zuständigkeiten innerhalb des Teams, die auf die Teammitglieder aufgeteilt werden. Diese Rollen erfüllen den Leistungsauftrag des Unternehmens, damit wird gewährleistet, dass dieser abgedeckt ist.

Themen sind Sachen die alltäglich auftreten. Zum Beispiel Fragestellungen wie, ob jemand neues rekrutiert werden soll. Die Person, die am meisten Interesse hat, nimmt das Thema an sich und hat die Aufgabe mit den Personen ins Gespräch zu treten, die betroffen sind.

Wenn diese Entscheidung zu einer Diskussion wird, dann wird sie im monatlichen Team Huddle besprochen. Dafür gibt es auch ein Konfliktprozess bei dem die Personen, die Interesse zeigen, selbstständig einen Konsens über eine Annahme eines Themas finden können. Einigen sich die Mitarbeiter nicht, kommt zum Beispiel Herr Döring hinzu.

Im Grunde genommen ist es richtig, dass es keinen Konsens innerhalb des Teams braucht, aber die entscheidende Person hat den Auftrag betroffene Personen miteinzubeziehen und deren Wünsche zu berücksichtigen. Dieser Prozess ist wichtig, ansonsten hätte man den gleichen Effekt wie in der Pyramidenhierarchie.

Zu einer neuen Rekrutierung gehört ein Rollenprofil, das vom Entscheidenden berücksichtigt wird und an die Mitarbeitenden zur Diskussion hinausgetragen wird. Somit hat jeder die Möglichkeit ein Feedback abzugeben, ob diese Rolle von einer neuen Person übernommen werden muss oder, ob Zuständigkeiten innerhalb des Teams verteilt werden können. Werden Interessenten zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen, ist die Entscheidende Person mit anderen Experten vor Ort und trifft die Entscheidung nach Absprache mit ihren Kollegen und Kolleginnen selbst.

Es braucht eine Gewöhnungsphase, dass in diesem Fall Herr Döring als Departementsleitung, nicht die abschliessende Entscheidungsgewalt hat und damit die abschliessende Verantwortung nicht übernimmt. Auch Herr Döring musste sich daran gewöhnen eine beratende Rolle einzunehmen und die Verantwortung den Mitarbeitenden zu überlassen.

Das Realisieren bei den Mitarbeitern, dass sie in dieser Weise Verantwortung übernehmen dürfen, ging circa dreiviertel Jahre.

Für Herr Döring war ein dreiviertel Jahr eine lange Zeit aber objektiv betrachtet konnte der Kulturwandel schnell vollzogen werden. Er fügt noch hinzu, dass der Chef zwar seine Empfehlungen abgibt, aber vielmehr auf Augenhöhe und als Teammitglied mit seinen Mitarbeitern kommuniziert.

Es ist als ehemaliger Chef wichtig immer wieder zu formulieren, dass die Entscheidung nicht bei einem selbst ist, sondern bei der Mitarbeiterschaft. Herr Döring sieht seine Aufgabe darin, seine Mitarbeiter so weit zu informieren, dass sie in der Lage sind selbst zu entscheiden. Die grösste Herausforderung darin, sieht er bei den Führungskräften, dass sie gewillt sind loszulassen und die Verantwortung tatsächlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überlassen.

Der Irrtum liegt darin, dass der Chef keineswegs alles am besten kann. Denn er sollte Experte im Entscheidungen treffen und im Führen von Menschen und nicht der Fachexperte im Team sein.

Wenn dieser Kongress schiefläuft, dann wird Herr Döring unter Umständen von seinem Vorgesetzten haftbar gemacht. Herr Döring findet aber, dass das Konzept der Selbstführung eine realistische Mischform ist und die Führungskräfte mit diesem Risiko leben müssen. 

Herr Döring hat erstaunlicherweise festgestellt, dass einer seiner Mitarbeiter Freude daran hatte, eine für ihn lästige Aufgabe zu übernehmen, somit war beiden gedient. Herr Döring und sein Team sind vom Leistungsauftrag ausgegangen und alle Mitarbeitenden beschreiben ihre Rollen, die sie ausführen. Für diese Zuständigkeiten tragen die Mitarbeiter selbst die Verantwortung. Wollen die Mitarbeiter eine Rolle abgeben, sind sie gleichermassen verantwortlich dafür, dass sie eine adäquate Nachfolge oder Lösung finden. Folglich konnte Herr Döring die für Ihn lästige Aufgabe nur abgeben, weil er einen passenden Mitarbeiter fand, der die Verantwortung dieser Rolle übernahm.

Selbstorganisation führt generell zu einem kompletten Kulturwandel im Team und, dass sich die Kommunikation und der Umgang im Team verändert. Das Auftreten von ernsten Konflikten hat Herr Döring in den letzten Jahren nicht miterlebt. Kleine Unstimmigkeiten werden normalerweise bilateral geklärt. Der Konfliktlösungsprozess besagt, dass wenn ein Mitarbeiter ein Konflikt sieht, in der Verantwortung ist diesen anzusprechen und das Gespräch mit der betreffenden Person zu suchen.

Bei der Einführung des Experiments hat Herr Döring unterschlagen, dass die Geschäftsleitung aufgrund von einem finanziellen Engpass damals entschieden hatte, eine Stelle abzubauen. Dies hat dazu geführt, dass das Leanteam unterbesetzt war und die vorgeschriebenen Leistungen nicht erbracht werden konnten. Sie standen vor der Frage, ob das Leanteam bis Ende Jahr aufgelöst werden soll oder, ob eine andere Lösung gefunden wird. Folglich gab Herr Döring als erste selbstorganisierende Aufgabe den Auftrag eine Lösung zu finden. Eine Variante war es per Ende Jahr das Leanteam aufzulösen und den Leancoaches zu künden und die zweite Variante war, eine Lösung zu finden, sodass der Leistungsauftrag weiterhin erfüllt werden kann. Das Team hat sich in kurzer Zeit so organisiert, dass die Leancoaches und sie selbst ihre Leistungen erbringen konnten. Allein dadurch, dass sie unnötigen Themen und Abläufen reduziert haben, konnten sie das gewünschte Resultat erzielen.

Die erste Erkenntnis ist, wie bereits erwähnt, das Menschenbild. Wenn man es schafft dieses Menschenbild im Prozess zu verändern, dann ergibt sich vieles von selbst. Eine zweite Erkenntnis ist, dass eine Veränderung nicht das Kreieren von etlichen Prozessen verlangt. Vielmehr gab es im Experiment zwei Kernprozesse im Team auf denen sich alles andere aufbaut. Noch heute sind nur sechs Prozesse für das Funktionieren des Teams definiert und diese lassen sich wiederum auf die zwei Kernprozesse reduzieren. 

Herr Döring und sein Team haben mit der Umstrukturierung 200'000 Franken Lohnkosten bei gleichbleibender Leistung eingespart.

Herr Döring und sein Team sind zu der Erkenntnis gekommen, dass jedes Team abhängig von ihrer Entwicklung einzeln angeschaut werden muss. Weiter muss der Veränderungsprozess Schritt für Schritt angegangen werden, gerade in der heutigen Zeit, in der Themen wie die Digitalisierung grosse Herausforderungen mit sich bringen.

Sie hatten den grossen Vorteil, dass ein Student aus dem Team und Herr Döring selbst, sich intensiv mit dieser Thematik auseinandersetzen konnten und so genügend Know-How generiert wurde. Es bleibt aber eine grosse Herausforderung diesen Wandlungsprozess im Alltag einzuführen. Man kann einen Berater herbeiziehen, aber man kann ihm nicht die Verantwortung übertragen, dass das Team selbstführend wird. Ein Berater soll unterstützend wirken. Denn die Verantwortung für den Wandel muss eine Führungsperson treffen und selbst vorantreiben.

Herr Döring ist fest davon überzeugt, dass man die Ideen der Selbstführung im gesamten Gesundheitswesen umsetzen kann. Es braucht aber auch Zeit und einen Generationenwechsel, Menschen die bereit sind diesen Weg zu gehen.

Eine Vielzahl von Spitälern sind immer noch streng hierarchisch aufgestellt. Viel Zeit wird vergehen, bevor alle Spitäler diesen Weg gehen werden. Ausser sie werden durch den Fachkräftemangel gezwungen diesen Weg zu gehen. Denn Herr Döring ist überzeigt, dass wenn sich der Fachkräftemangel verschärft, unter anderem die Spitäler gewinnen werden, die ihre Organisationsmodelle angepasst haben und ihre Mitarbeiter mit in die Verantwortung nehmen.

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