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Das EPD – Die Patientensicht nicht vergessen!

02 Entwickeln Forschung Strategie Politik/öffentliche Hand Elektronisches Patientendossier (EPD) Patientenzentrierung

Jeder spricht darüber und die Spitäler müssen es bis 2020 einführen – das EPD. Es bestehen weiterhin viele kritische Meinungen und Unklarheiten bezüglich der Einführung des EPD. Sabine Ultsch ist studierte Betriebswirtschaftlerin und hat ihre Bachelorarbeit über die Einführung des EPD geschrieben. Im Interview mit Alfred Angerer berichtet sie von der Sichtweise des Patienten auf das EPD.

Fragen und Antworten

Das EPD ist eine Art Plattform auf der alle Gesundheitsdaten unabhängig des erhebenden Leistungsanbietenden einer Person gespeichert werden oder zumindest verfügbar sind.

Der Stand der Digitalisierung im Gesundheitswesen ist vergleichsweise noch relativ gering mit ca. 25%. Bis die Digitalisierung im Gesundheitswesen weiterfortschreitet wird noch ein hoher Ressourcenaufwand benötigt, was einen ähnlichen Umfang bedeutet wie bei einem Milliardenprojekt der Eisenbahn. Die Bedeutung für das Gesundheitswesen ist zudem in etwa gleich gross wie die der NEAT für die Eisenbahnbranche.

In der Schweiz gibt es seit langen Bestrebungen das EPD einzuführen. Kantone wie Genf haben kantonal ähnliche Plattformen etabliert. Durch die föderalistische Organisation des Gesundheitswesens gab es seitens Bund bis zur Erscheinung des entsprechenden Gesetzes nur kaum Bemühungen. Das Gesetz schreibt die Ausarbeitung des EPD seitens Kantonen vor. Im Vergleich zu anderen Ländern hat die Einführung des Gesetzes vergleichsweise lang gedauert, so sind die nordischen Länder hier deutlich weiter.

Das EPD ist eine Plattform auf der Links zu Dokumenten gespeichert werden. Die Dokumente werden in Repositories gespeichert. Über den Link wird der Zugriff gewährt. Als Laie kann auf die Dokumente zugegriffen und der Zugriff für verschiedene Gesundheitsinstitutionen geöffnet werden. Auch können eigene Dokumente hochgeladen werden.

Eine 21-jährige Studentin fühlte sich seit längerem etwas krank, daher war sie beim Hausarzt. Es wurde ein Infekt festgestellt, von einer weiteren Nachkontrolle wurde abgesehen. Dann ist sie Monate darauf nochmals zum Arzt und berichtete über Gewichtsverlust, Müdigkeit und ein allgemeines Krankheitsgefühl (grippeähnlich). Es wurde erneut ein Infekt diagnostiziert und von einer Nachkontrolle abgesehen. Als nach einem Umzug nochmals zu einem neuen Hausarzt ging, wurde die Diagnose Lungenentzündung gestellt. Bei der Nachkontrolle war keine Besserung der Entzündungswerte ersichtlich, weshalb man sie zur Notaufnahme überwies. Dort wurde die Diagnose Lymphdrüsenkrebs gestellt. Die Studentin wurde an die Onkologische Abteilung verwiesen, wo sie eine Chemotherapie begonnen hat. Zuvor kam es noch zur Entfernung eines halben Eierstocks zur Fertilitätserhaltung. Während der Therapiedauer konnte sie an einer Studie teilnehmen, wodurch ein innovatives Medikament bei ihr getestet werden konnte. Nach sechs Monaten Therapie war der Krebs jedoch noch nicht vollständig bekämpft. Aus diesem Grund erhielt sie zusätzlich Bestrahlungen.

Im Rahmen der Bachelorarbeit wurde analysiert, in welchen Schritten das EPD unterstützt hätte. In diesem komplexen Fall waren viele Leistungserbringende involviert, sowohl innerhalb einer Institution wie auch darüber hinaus. Bei der interdisziplinären Zusammenarbeit würde ein EPD geholfen.

Die CT-Aufnahmen des Tumors hätten an das Kantonsspital weiterübermittelt werden sollen, welches die fertilitätserhaltende Operation durchgeführt hat. Die Patientin war bereits vor Ort und die Aufnahmen waren längere Zeit nicht verfügbar, was zu langen Wartezeiten und einer Aufklärung über den worst Case geführt haben. Diese Situation war sehr stressreich für die Patientin. Hier hätte mit dem EPD Stress und Zeit eingespart werden könne.

Ja, dem ist so. Ein anderes Beispiel geht über die Landesgrenzen hinweg. Zu bestimmten Zeitpunkten im Chemozyklus mussten die Daten zur studienführenden Institution in Deutschland gesendet werden. Hierbei ging die Daten einmal verloren, welche auf CD gedruckt und per Post versendet wurden. Der Fall musste im Tumorboard besprochen werden, ohne die CT-Aufnahmen konnte dies jedoch nicht erfolgen. Letztendlich wurden die Daten via Dropbox von der Patientin an die Institution gesendet.

Das EPD begrenzt sich zwar auf die Schweiz und wird dies auch noch einige Jahre, aber gerade für Studiengruppen ist eine Ausweitung sinnvoll.

Vermutlich hätte es in der Schweiz weitere Möglichkeiten gegeben wie die persönliche Abgabe vor Ort. Es ist jedoch auch nicht die beste Lösung.

Es kann Behandlungszeit auf Seiten des Leistungserbringenden sowie der Patienten und Patientinnen eingespart werden. Für die Patientin oder den Patienten hiesse das beispielsweise, dass nicht zwei verschiedene Termine wahrgenommen werden müssen, da Daten noch nicht verfügbar sind.

Im Notfall kann eine Datengrundlage die «Blackbox»-Situation vermeiden und die Anamnese verbessert werden. Somit können Behandlungsfehler verringert werden und es käme zu Zeiteinsparungen.

Die technische Ausarbeitung muss auf einfache Weise gegeben sein, die Usability für Patientinnen und Patienten sowie Leistungserbringende muss gegeben sein.

Es sollte für Leistungserbringende keinen Mehraufwand bei der Übertragung der Daten und Dokumente in das EPD bedeuten.

Eine flächendeckende Einführung im stationären wie auch ambulanten Sektor wird von Relevanz sein. Dies ist bis anhin noch nicht vorgesehen. Auch die Eröffnung und Nutzung durch die Patientinnen und Patienten ist wichtig.

So wie das EPD momentan umgesetzt ist, bleibt es fraglich, ob es sich um die Version handelt, welche zum Fliegen kommt. Diese Version ist auf Kantonsebene oder Stammgemeinschaftenebene beschränkt und es existieren bereits Schnittstellen in der Schweiz. Die Umsetzung ist sehr teuer und komplex. Es wird ein einmaliges System geschaffen und eine Orientierung am Ausland vernachlässigt.

Speziell mit dem Blick auf die Systeme und Technik kann das EPD als alternativlos gesehen werden. Beim Blick auf aktuelle Entwicklungen im Gesundheitswesen wie das «Internet of things» oder künstliche Intelligenz müssen Plattformen geschaffen werden, womit diese Entwicklungen sinnvoll und mit strukturierten Daten genutzt werden können. Es nützt nichts künstliche Intelligenz Krebsdiagnosen stellen zu lassen, wenn die dazugehörigen strukturierten Daten fehlen. Diese Entwicklungen bieten viel Potential. Das EPD und somit die Strukturierung und Standardisierung der Gesundheitsdaten bilden die Basis für viele weitere Entwicklungen.

Estland ist ein oft genanntes Beispiel und dies nicht nur im Gesundheitswesen, sondern allgemein im Bereich der Digitalisierung. Dort ist das EPD eingeführt und funktioniert gut. Der Grossteil der Bevölkerung nutzt das EPD und die Abwicklung vieler Prozesse wie der Untauglichkeitserklärung für das Militär erfolgt über das EPD. Die Schweiz ist hiervon noch weit entfernt.

Alle Daten sind beim Staat und es ist kritisch zu sehen, ob das von der einzelnen Person gewünscht ist. Jedoch überwiegen die Vorteile, wodurch Personen bereit sind zurückzustecken. Es gibt wenig Missbrauch, weshalb die Bereitschaft ein EPD zu eröffnen und die Staatsdienste zu nutzen in der Bevölkerung steigt. Zentral ist die Vorbeugung des Datenmissbrauchs durch gerechte und gute Gesetze, welche die Verfolgung von Personen, die Datenmissbrauch betreiben ermöglichen und diese so zur Rechenschaft gezogen werden können.

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